Sexualisierte Gewalt

Nicht selten findet im Zusammenhang mit Häuslicher Gewalt auch sexualisierte Gewalt statt. Dass davon auch Männer betroffen sein können, ist vielen nicht bewusst – oder wird als Thema abgewertet. Traditionelle Rollenbilder und Stereotype wie „Männer wollen sowieso immer“ tragen dazu bei, dass häufig unbeachtet bleibt, dass auch Männer Handlungen gegen ihre sexuelle Selbstbestimmung erleben können.

Sexualisierte Gewalt ist weiterhin ein gesellschaftliches Tabuthema – insbesondere dann, wenn Männer betroffen sind. Sexualisierte Gewalt bezeichnet jede Form von Gewalt, bei der Sexualität als Mittel zur Ausübung von Macht, Kontrolle, Demütigung oder Einschüchterung instrumentalisiert wird. "Es geht also nicht um Lust und Erotik", erklärt das BMFSFJ auf seiner offiziellen Webseite.

Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung

Betroffene erleben dabei Situationen, in denen sie kein "Nein" mehr sagen oder zeigen können. Sexualisierte Gewalt kann sich in vielen Formen äußern – von sexueller Belästigung und unerwünschtem Körperkontakt über die ungewollte Weitergabe von Bildmaterial bis hin zu sexueller Nötigung und Vergewaltigung. Nicht jede Grenzüberschreitung ist ein bewusster Übergriff – aber auch unbeabsichtigte Verletzungen können Folgen haben. Deshalb braucht es Offenheit und Sensibilität. Grenzen sind nicht immer sichtbar. Wer eine sexuelle Grenze überschreitet, meint es vielleicht nicht böse – aber auch unbeabsichtigte Verletzungen können Spuren hinterlassen. Sexualisierte Übergriffigkeit dagegen meint gezielte Handlungen, die auf einer missachtenden Haltung beruhen und die sexuelle Selbstbestimmung des anderen bewusst verletzen.

Sexualität gegen den Willen – ein Ausdruck von Gewalt

Innerhalb einer Partnerschaft setzen manche ein Recht voraus, über den anderen sexuell verfügen oder bestimmen zu dürfen. Sexuell übergriffiges Verhalten liegt vor, wenn sexuelle Nähe erzwungen wird, ein „Nein“ nicht akzeptiert oder sexuelle Handlungen als Mittel zur Bestrafung, Belohnung oder zur Durchsetzung eigener Interessen eingesetzt werden – und das ohne gegenseitiges Einverständnis (Konsens). Betroffene berichten z. B. davon, dass die Partnerin oder der Partner sich „eben genommen hat, was sie/er wollte“. Auch körperliche Kontrollen im Intimbereich aufgrund massiver Eifersucht werden beschrieben.

Reproduktive Gewalt führt auch bei Männern zu seelischer Belastung

Reproduktive Gewalt ist Gewalt, die die Kontrolle über reproduktive Entscheidungen und Handlungen betrifft. Reproduktive Gewalt gegen Männer bleibt häufig unsichtbar – doch die Praxis zeigt, dass Männer unter einseitiger Familienplanung leiden, wenn sie dabei psychischer Gewalt ausgesetzt sind. Betroffene erleben abwertende Kommentare über ihre Männlichkeit, Druck und Drohungen, was häufig zu seelischer Belastung und Beeinträchtigungen ihres sexuellen Erlebens führt. Wenn Männer im familiären Umfeld sexualisierte Gewalt erleben, geschieht das nicht nur durch Partner/innen, sondern auch durch weitere Angehörige. Die Übergriffe reichen von grenzüberschreitender Nähe bis hin zu schwerwiegenden Formen wie Vergewaltigung.

Sexualisierte Gewalt an Männern: oft schwer vorstellbar und nicht ernst genommen

Besonders in Partnerschaften scheint die Vorstellung schwerzufallen, dass Männern sexualisierte Gewalt widerfahren kann, obgleich dies durch Statistiken und Befragungen (z. B. vom Bundeskriminalamt) längst bestätigt ist. Oft sind auch Freunde und Familie überfordert, wenn ein betroffener Angehöriger davon berichtet. Aus Unsicherheit wird dann oft nur eine flapsige Bemerkung gemacht, um mit Humor den Ernst aus dem Thema zu nehmen oder einfach schnell das Gesprächsthema gewechselt. Das kann Betroffene entmutigen, von dem Erlebten zu berichten.

Folgen sind Scham- und Schuldgefühle, Verletzungen und Traumata

Sexualisierte Gewalt kann sich in sehr unterschiedlichen Formen und Auswirkungen zeigen – von innerem Unbehagen und Schuldgefühlen über den Verlust der Selbstfürsorge bis hin zu psychischen Erkrankungen, Traumata oder körperlichen Verletzungen. Darüber hinaus können sich zusätzlich Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen und im sicheren Erleben öffentlicher Räume zeigen. Nicht selten folgen auch Abhängigkeiten oder Suchterkrankungen in unterschiedlicher Ausprägung.

Viele Betroffene fühlen sich von intensiver Scham, Ekel und Angst belastet – oft verbunden mit einem geringen Selbstwertgefühl. Es fällt ihnen häufig schwer, das Erlebte überhaupt als sexualisierte Gewalt zu benennen. Die Vorstellung vom „starken Mann, der sich wehren kann“ hindert viele Betroffene daran, Hilfe zu suchen – und lässt sie mit ihrem Erlebten oft isoliert und schweigend zurück. Kommentare aus dem Umfeld wie „Sei doch froh, dass er/sie dich begehrt“ oder „Ist doch süß, dass er/sie eifersüchtig ist“ entwerten die Gefühle und Grenzen der betroffenen Männer.

Beratung und Unterstützung

Wir bieten Betroffenen einen vorurteilsfreien Raum, in dem Sie vertraulich über das Erlebte sprechen können. Auch Angehörige können sich bei uns beraten lassen. Bei vergangenen sexualisierten Gewalttaten unterstützen wir auch bei der Antragstellung beim Fond Sexueller Missbrauch. Personen, die aktuell nicht von Häuslicher Gewalt betroffen sind, aber vergangene sexualisierte Gewalterlebnisse aufarbeiten möchten, finden bei der Avalon Fachberatungsstelle gegen sexualisierte Gewalt, Beratung und Prävention e.V. Unterstützung.

Wir ermutigen betroffene Männer, sich frühzeitig Unterstützung zu holen – bevor die Belastung zu groß wird. Jeder Mann, der sexualisierte Gewalt erlebt hat, hat das Recht, sich jederzeit Hilfe zu suchen. Sie haben die Möglichkeit, sich von einem männlichen Berater begleiten zu lassen, wenn Sie eine Beratung durch eine Frau nicht wünschen. Besondere Wünsche zur Beratungsperson können Sie gerne schon bei der Kontaktaufnahme äußern; wir nehmen diese sensibel und mit Rücksicht auf Ihre Bedürfnisse auf.

Quellen:

Bundeskriminalamt. (2023). Häusliche Gewalt – Bundeslagebild 2022,

Schemmel, Goede, Müller. (2024). Gewalt gegen Männer in Partnerschaften – Eine empirische Untersuchung zur Situation in Deutschland.

Tauwetter e. V. (2022). Reader gegen sexualisierte Gewalt.