Sekundar- und Tertiärbildung
Benachteiligungen werden in der Sekundarstufe weiter zementiert. Je niedriger der Bildungshintergrund und die finanziellen Ressourcen der Familie, desto schlechter stehen die Chancen von Jugendlichen auf einen hohen Schulabschluss. Lebensmöglichkeiten werden begrenzt.
Häufiger Hauptschule, seltener Gymnasium
Innerhalb des Bildungsberichts 2014 wurden die Daten des Mikrozensus 2012 hinsichtlich der Bildungsbeteiligung unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen untersucht. Hierfür wurden sogenannte „Risikolagen“ für Kinder definiert. Die erste Risikolage besteht, wenn das Familienäquivalenzeinkommen unter 60% des Durchschnitts liegt. Die zweite Risikolage liegt vor, wenn beide Elternteile oder der alleinerziehende Elternteil des Kindes erwerbslos sind oder Nichterwerbspersonen. Wenn die Eltern einen Abschluss unter ISCED 3, das bedeutet maximal einen mittleren Schulabschluss besitzen, besteht die dritte Risikolage. Die Autoren interessierten sich für mögliche Unterschiede der Besuchsquoten von Hauptschule und Gymnasium bei 12-17-jährigen Kindern und Jugendlichen :
- Kinder ohne Risikolage besuchen zu 8% die Hauptschule und zu 42% das Gymnasium.
- Kinder aus Familien mit niedrigem Familieneinkommen (Risikolage 1) besuchen zu 17% die Hauptschule und zu 21% das Gymnasium.
- Kinder von erwerbslosen Eltern (Risikolage 2) besuchen zu 20% die Hauptschule und zu 14% das Gymnasium.
- Kinder von Eltern mit maximal mittleren Schulabschluss (Risikolage 3) besuchen zu 26% die Hauptschule und zu 12% das Gymnasium.
- Kinder, die alle drei Risikolagen vorweisen, besuchen zu 30% die Hauptschule und zu 6% das Gymnasium.
Die Analysen belegen enge Zusammenhänge des familiären Hintergrunds und der besuchten Schulform (Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2014, S. 75-77).
PISA-Studien: Große Lernrückstände in den Kompetenzbereichen Naturwissenschaft, Mathematik und Lesefähigkeit im Alter von 15 Jahren
Ausgangspunkt vieler Debatten sind die seit 2000 international im dreijährigen Turnus durchgeführten PISA-Studien. Ein Großteil der OECD-Mitgliedstaaten sowie weitere Partnerstaaten nehmen an der Studie teil. Es werden 15-jährige Schülerinnen und Schüler getestet. Im Folgenden wird auf die Ergebnisse für Deutschland in den Jahren 2015, 2012 und 2009 eingegangen.
PISA 2015: Schwerpunkt Naturwissenschaft
In der PISA-Studie 2015 werden die sozioökonomischen Hintergründe der Schüler durch den sogenannten PISA-Index des wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Status geschätzt (ESCS). Im ESCS gibt es vier unterschiedliche Quartile. Im höchsten Quartil finden sich sozioökonomisch begünstigte Schülerinnen und Schüler. Die Eltern dieser Schüler haben ein hohes Bildungsniveau (meist Tertiärabschlüsse) und sie arbeiten größtenteils als Fach- oder Führungskräfte in Büro- und Dienstleistungsberufen. Im untersten Quartil finden sich die ökonomisch benachteiligten Schülerinnen und Schüler. Deren Eltern besitzen ein deutlich niedrigeres Bildungsniveau. Die Mehrheit arbeitet als Hilfskraft oder angelernte Fachkraft (OECD 2016, S.222). Im Kompetenzbereich Naturwissenschaft erzielten im Jahr 2015
- die benachteiligten Schülerinnen und Schüler durchschnittlich 466 Punkte und
- die begünstigen Schülerinnen und Schüler durchschnittlich 569 Punkte (OECD 2016, S. 430).
In den PISA-Studien werden Stufen zur Bewertung der Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler unterschieden (Details siehe OECD 2016, S. 67-68). Als "schwach" werden in der Pisa-Studie die Schülerinnen und Schüler bezeichnet, die unter der Kompetenzstufe 2 liegen. Als besonders leistungstark werden die Schülerinnen und Schüler klassifiziert, die mindestens die Kompetenzstufe 5 erreichen.
- Die benachteiligten Schülerinnen und Schüler liefern zu 28% schwache Leistungen im Bereich Naturwissenschaft. Nur 3% können als leistungsstark bezeichnet werden.
- Die begünstigten Schüler liefern nur zu 5% schwache Leistungen. 25% von ihnen können als leistungsstark bezeichnet werden (OECD 2016, S. 433-434).
PISA 2012: Schwerpunkt Mathematik
Die Differenzierung der Schülerinnen und Schüler erfolgte im Jahre 2012 durch ISCED-Level. Die Bildungsabschlüsse der Eltern werden nach niedrigen Abschlüssen (höchstens ISCED 2) und hohen Bildungsabschlüssen (ISCED 5 oder 6) klassifiziert.
- 23% der teilnehmenden Kinder in Deutschland haben Eltern mit einem niedrigen Bildungsabschluss. Sie erreichten in der PISA-Studie 2012 im Bereich der mathematischen Kompetenzen durchschnittlich 481 Punkte.
- Auf der anderen Seite stehen 51% der Kinder, deren Eltern einen hohen Bildungsabschluss besitzen. Diese Kinder erreichten durchschnittlich 543 Punkte (OECD, 2013a, S. 203).
Dieser Unterschied von 62 Punkten entspricht etwa 1,5 Schuljahren (OECD, 2013b, S.5).
Noch gravierender fallen die Unterschiede zwischen den Kindern aus, deren Eltern nach OECD Definition eine geringqualifizierte berufliche Stellung haben (Hilfsarbeitskraft) und den Kindern, deren Eltern hochqualifiziert sind (Fach- bzw. Führungskraft).
- Kinder, deren Eltern eine gering qualifzierte Stellung haben, erreichten durchschnittlich 441 Punkte.
- Kinder, deren Eltern hochqualifziert sind, erreichten durchschnittlich 550 Punkte.
Die Differenz von 109 Punkten bedeutet, dass die Leistungen dieser Kinder etwa 3 Jahre hinter den Leistungen der Kinder zurück liegen, deren Eltern hochqualifziert sind (OECD, 2013a, S. 204).
PISA 2009: Schwerpunkt Lesekompetenz
Innerhalb der PISA-Studie 2009, in der die Leseleistungen im Vordergrund standen, werden die Differenzierung hinsichtlich der EGP-Klassen vorgenommen.
- Kinder von Eltern, die der oberen Dienstklasse zugeteilt wurden, erreichten durchschnittlich 535 Punkte.
- Kinder von un- und angelernten Arbeitern erhielten dagegen 459 Punkte.
Dieser Unterschied von 76 Punkte entspricht etwa zwei Lernjahren (Ehmke; Jude, 2010, S.246 und Stanat u.a. 2010, S. 220).
Wenn die Kinder bei der Messung der Lesekompetenz weniger als 407 Punkte erreichen, werden ihnen Schwierigkeiten in Ausbildungs- und Berufsleben prognostiziert. Im Jahr 2009 traf das auf 18,5% der Schülerinnen und Schüler in Deutschland zu.
- Die Kinder von un- und angelernten Arbeitern finden sich zu 29% in dieser besonders förderbedürftigen Gruppe.
- Kinder von Eltern, die der oberen Dienstklasse zugeordnet wurden, nur zu 10% (Ehmke; Jude, 2010, S. 247).
Schlechtere Abiturdurchschnittsnoten
Schaffen es die Kinder aus Elternhäusern mit weniger Bildungsressourcen bis zum Abitur, schneiden sie dort schlechter ab. In einer Studie analysieren Köll und Maaz die Abiturdurchschnittsnoten von über 1.000 Schülerinnen und Schülern. Wenn der HISEI (ermittelt auf Grundlage der Berufe der Eltern) um 50 Punkte steigt, so sinkt die Abiturnote um 0,3 Noten beispielsweise von 2,5 auf 2,2. Ein Unterschied von 50 Punkten im HISEI liegt beispielsweise zwischen den Elternberufen Friseurin/Friseur und Ingenieurswissenschaftlerin/ -wissenschaftler vor (Köller, Maaz, 2017, S. 160ff.).
Seltener mit Studiumsabschluss, häufiger ohne Schulabschluss
Die Daten des SOEP werden im Rahmen des Bildungsberichts 2014 herangezogen, um die beruflichen Bildungsabschlüsse nach sozialer Herkunft zu berechnen. Es zeigen sich auch hier wieder deutliche Differenzen:
- Erwachsene, die zwischen 1972 und 1981 geboren sind und deren Eltern der oberen Dienstklasse angehören, können zu 9% keinen Berufsabschluss vorweisen, 36% besitzen einen Ausbildungsabschluss und 56% einen Studiumsabschluss.
- Ein Viertel der Kinder von un- und angelernten Arbeitern, die ebenfalls zwischen 1972 und 1981 geboren wurden, haben keinen Berufsabschluss, 67% haben einen Ausbildungsabschluss und nur 8% können einen Hochschulabschluss vorweisen.
Die Analysen belegen auch, dass die Arbeiterklasse von der sogenannten Bildungsexpansion der letzten Jahrzehnte (Steigerung der Anzahl an Abiturienten, Steigerung der Studienabgänger etc.) nicht profitiert hat (Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2014, S. 105-107).
Trotz Studienzugangsberechtigung seltenerer Beginn eines Studiums
Interessant ist ebenfalls, dass selbst wenn die jungen Erwachsenen den schwierigen Weg des Bildungsaufstiegs vollzogen haben und ein Abitur vorweisen können, sie trotzdem deutlich seltener ein Studium beginnen. Demnach studieren unter diesen Voraussetzungen 82% der Personen mit Eltern mit Universitätsabschluss, aber nur 61% der Personen mit Eltern mit Lehr- oder ohne Berufsabschluss, wie die Daten des Studienberechtigtenpanel belegen (Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2014, S. 124).