Mit eigenen Worten: Das Finale des Schreibprojekts
FZF-Leitung Ute ZImmer (links) erzählt bei der Lesung über Heidemarie Glöckners (rechts) Erfolg mit ihrem Schreibprojekt, das sie mit Geflüchteten neun Jahre lang umgesetzt hat. (Foto: Tanja Elm)
10.11.2025 - Neun Jahre, zehn Bücher, unzählige Schicksale: Die pensionierte Lehrerin Heidemarie Glöckner hat Geflüchteten nicht nur Deutsch beigebracht, sondern ihnen eine Stimme gegeben. Nun endete ihr Projekt im Freiwilligen-Zentrum mit einer letzten Lesung – und einem besonderen Einzelwerk.
Nach neun Jahren wurde das Schreibprojekt, das Heidemarie Glöckner im Freiwilligen-Zentrum Fürth (FZF) zusammen mit Geflüchteten verwirklicht hat, zu einem berührenden Ende gebracht. In der Innenstadtbibliothek lasen mehrere der Autoren aus ihren Texten vor und wurden so gemeinsam mit Heidemarie Glöckner verdientermaßen geehrt.
Eine Lesung, die zur Ehrung wird
Rund 50 Gäste fanden ihren Weg in die Fürther Innenstadtbibliothek, um dem Finale des langjährigen Buchprojekts um Heidemarie Glöckner beizuwohnen. Auf der Veranstaltung wurden die letzten beiden der insgesamt zehn entstandenen Bücher zusammen mit anwesenden Autoren in einer Lesung vorgestellt. Und während neun der Bücher von mehreren Autoren verfasst wurden, ist es Bashar Al Haj, dem an diesem Abend eine besondere Ehre zuteil wird: Denn Al Haj, der seine Texte seit mehreren Jahren eingebracht hat, verewigte sie nun als alleiniger Autor in seinem eigenen Buch "Wem die Muse spricht".
Texte, die berühren
Einige der Autoren lesen an diesem Abend aus "Schritt für Schritt", dem neunten Buch des Schreibprojekts, ihre eigenen Geschichten vor. Darin ist beschrieben, wie mühsam und kleinteilig der Prozess des Ankommens ist. „Wenn man in ein fremdes Land kommt mit einer fremden Sprache, ist alles schwierig", sagt Glöckner. „Ich weiß nicht, wo ich hingehen muss, was ich tun muss. Und dann Schritt für Schritt zum Ziel. Davon handeln die Geschichten in diesem Buch."
In den vorgelesenen Texten an diesem Abend geht es um sprachliche Missverständnisse, die einen schmunzeln lassen, aber auch um die Hilflosigkeit, nicht mehr in die eigene Heimat zurückkehren und dort unterstützen zu können. Sie erzählen von Träumen und Plänen, bei denen es nicht einfach so gelingt, sie zu verwirklichen. Und auch die Dankbarkeit gegenüber der erfahrenen Hilfe als Geflüchteter wird thematisiert.
Der Dichter unter den Autoren
Den Abschluss der Lesung bildet Bashar Al Haj mit seinem Einzelwerk "Wem die Muse spricht". FZF-Leiterin Ute Zimmer beschreibt ihn als "Dichter". Und dieser Bezeichnung wird er beim Vorlesen seiner Geschichte gerecht. Es ist eine Parabel über Wölfe, Schafe und Hirtenhunde – eine Allegorie über Täuschung und Naivität, über die Wahl, die jeder Mensch treffen muss: "Willst du ein reißender Wolf sein, brutal, egoistisch, maskiert, oder ein dummes Schaf, gutgläubig, blind dem sicheren Ende entgegen? Beide Wege führen zu Leid." Doch es gebe einen dritten Weg: "Sei ein Hirtenhund. Nicht blutig, nicht naiv, sondern stark, wachsam, weder Opfer noch Täter." Es ist ein Text, der die Erfahrung der Flucht, des Ankommens, des Misstrauens und der Hoffnung in eine zeitlose Form gießt – und der zeigt, dass aus diesem Projekt nicht nur Sprachübungen entstanden sind, sondern wahre Literatur.
Ein Projekt, das Menschen eine Stimme verleiht
Das Projekt beginnt 2016. Deutschland erlebt damals die größte Fluchtbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg. Die ehemalige Lehrerin Heidemarie Glöckner, die zwanzig Jahre an Hauptschulen im Landkreis Fürth unterrichtet und später als Dozentin in der Lehrerausbildung gearbeitet hatte, ist nach ihrer Pensionierung auf der Suche nach einer sinnstiftenden Aufgabe. „Für mich stand schon immer fest, dass ich mich für die Gemeinschaft engagieren möchte", sagt Glöckner.
Vom Sprachunterricht zur Schreibwerkstatt
Über das FZF kommt die ehemalige Lehrerin zunächst zum multikulturellen Frauentreff in der Moststraße und in die Flüchtlingsunterkunft in der Karolinenstraße. Dort bietet sie vor allem für Mütter mit kleinen Kindern Sprachunterricht an, die nicht an regulären Deutschkursen teilnehmen können, weil sie ihre Kinder betreuen müssen. Dann hat Glöckner eine Idee: Warum mit den Frauen nicht gemeinsam Geschichten schreiben, um ihnen mehr zu ermöglichen als nur Vokabeln und Grammatik? "Ich wollte den Frauen etwas geben, wo sie sagen können: Das habe ich gemacht, das habe ich auf Deutsch geschrieben", erklärt Glöckner.
Gesagt, getan, und das mit vollem Erfolg. Das erste Werk trägt den Titel "Mit eigenen Worten auf Deutsch". Daraufhin entsteht jedes Jahr ein neues Buch mit verschiedenen Geschichten. Zuerst nur mit den geflüchteten Frauen als Autorinnen, später auch mit Kindern und Männern.
Schreiben als Akt der Selbstermächtigung
Glöckner ist sich sicher: Es ist der Ansatz, ungezwungen, ohne strenge Korrekturen und ohne Leistungsdruck zu schreiben, der das Projekt so erfolgreich gemacht hat. Für die Autorinnen und Autoren sei es ein Akt der Selbstermächtigung. Das Buch in den eigenen Händen zu halten und den eigenen Namen darin zu lesen. Diese Erfahrung lasse das Selbstbewusstsein wachsen.
Zum Schluss der Veranstaltung bittet Zimmer alle Autorinnen und Autoren nach vorne, die an "Schritt für Schritt" mitgeschrieben haben. "Sie bekommen jetzt ganz offiziell Ihr eigenes Buch", sagt sie und überreicht allen ein Exemplar. Und auch Glöckner wendet sich noch einmal an die Autorinnen und Autoren: „Sprache öffnet Türen und Herzen.” Damit drückt die ehemalige Lehrerin selbst aus, was sie in den neun Jahren all den Autoren und Autorinnen geschenkt hat. Das FZF sagt herzlichen Dank für dieses wertvolle Engagement!
Anmerkung: Die Meldung basiert, wie viele der Aktuelles-Meldungen des FZF, auf einem Text von Mario Landauer - seines Zeichens Journalist. Er schreibt regelmäßig ehrenamtlich für das FZF. Auch an ihn an dieser Stelle einmal herzlichen Dank für diese tolle Unterstützung!