Gruppendiskussionen

Unser interkulturelles Team bei der Arbeit an der Erhebungsmethodik (Foto: Tanja Elm)

Bei zwei Gruppendiskussionen mit ehrenamtlichen und professionellen Flüchtlingshelferinnen und -helfern im Oktober 2017 wurde eines deutlich: Es besteht wenig Kontakt zwischen Zuwanderern und Deutschen. Gleichzeitig wünschen sich Flüchtlinge mehr Kontakt. Unterschiedliche Barrieren erschweren die Kontaktaufnahme erheblich.

Vier Stunden dichte Erfahrungen

Im ersten Gespräch diskutierten sieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von GU-Sozialdiensten miteinander über die sozialen Netzwerke von Flüchtlingen. Zum zweiten Termin wurden vier Ehrenamtliche aus unterschiedlichen Projekten eingeladen.

Die etwa zweistündigen Diskussionen wurden eröffnet mit einer Präsentation der Ergebnissen aus der Vorläuferstudie „Nicht mit leeren Händen“. Danach berichteten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von ihren Beobachtungen hinsichtlich der sozialen Kontakte von Flüchtlingen. Die Diskussionen wurden aufgezeichnet, transkribiert und mit Hilfe der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet.

Im Folgenden stellen wir eine Auswahl der wichtigsten Ergebnisse dar. Die Zitate wurden für die bessere Lesbarkeit teilweise gekürzt und sprachlich geglättet.

Kaum Kontakt zwischen Deutschen und Geflüchteten

Die Experten gehen in den beiden Diskussionsrunden sowohl auf Beispiele einer gelungenen Kontaktaufnahme zwischen Deutschen und Flüchtlingen ein, als auch auf Schwierigkeiten. Insgesamt überwiegt die Einschätzung, dass viele Flüchtlinge kaum oder keinen Kontakt zu Deutschen haben:

„Ich habe schon viele Asylbewerber gefragt, wie das ist, wenn sie nach draußen gehen: ‚Habt ihr auch Kontakt mit den Deutschen?‘ Die sagen: ‚Nein, überhaupt nicht.‘“

Es braucht mehr Einsatz auf beiden Seiten

Einerseits fordern die Gesprächsteilnehmerinnen und -teilnehmer mehr Engagement der Flüchtlinge, um Kontakte aufzubauen. Dabei wird in erster Linie auf Angebote von Ehrenamtlichen hingewiesen, die für Flüchtlinge organisiert, manchmal aber nicht in Anspruch genommen werden:

„Also wir haben einen super aktiven Helferkreis. Die bleiben auch dran und geben nicht auf und lassen sich nicht demotivieren. Aber ein bisschen müsste man auch von der anderen Seite (…) auch Initiative zeigen.“

Andererseits wird sich mehr Offenheit und Einsatz der deutschen Bevölkerung gewünscht:

„Und dann gibt es bei uns dieses Umfeld nicht, wo die diesen Kontakt pflegen können (…) Wer von den Deutschen geht denn zu denen hin? Niemand!“

"Ich will einfach mal richtige Freunde"

Viele Flüchtlinge wünschen sich mehr Kontakte zu Deutschen. Existierende Kontakte beschränken sich häufig auf ehrenamtliche Helfer:

„Nur Kontakte mit Ehrenamtlichen bestehen, würde ich sagen.“

Flüchtlinge schätzen das Engagement der Ehrenamtlichen. Gleichzeitig wünschen sie sich Kontakte außerhalb des ehrenamtlichen Hilfesettings:

„Mir hat auch mal ein Bewohner gesagt, dass er keine Ehrenamtlichen mehr will: ‚Die sind zwar nett und machen tolle Sachen, aber ich will einfach mal richtige Freunde. Ich will nicht jemanden, der kommt und mir etwas gibt, weil ichs brauche, sondern ich will jemanden, der mich als Mensch mag.‘“

Mehrere Gesprächsteilnehmerinnen und -teilnehmer haben die Erfahrung gemacht, dass aus ehrenamtlichen Kontakten hin und wieder Freundschaften entstehen.

Kontaktbarriere 1: Trauma und unsichere Situation der Familie

Die Experten berichten von isolierten Flüchtlingen, die sich in ihr Zimmer der Gemeinschaftsunterkunft zurückziehen und kaum den Kontakt nach außen suchen. Ein Grund für den Rückzug könnten Traumata sein. Die Gedanken an die Heimat, an Flucht und Krieg lassen sie nicht los.

Zu persönlichen Krisen kann auch eine unklare Situation der Familie führen bzw. das Warten und Hoffen auf den Familiennachzug:

„Ich hatte einen Klienten, der ist immer alleine im Zimmer geblieben. (…) der Familiennachzug, der hat ihm sehr große Sorgen gemacht. (…) Also für ihn ist der Kontakt mit anderen Menschen nicht wichtiger, als dass seine Familie nach Deutschland kommt.“

Kontaktbarriere 2: Angst und Scham

Gleichzeitig berichten viele der Experten und Expertinnen, dass die Flüchtlinge Angst haben, beim Kontakt mit Deutschen etwas falsch zu machen:

„Manche haben Angst, wenn sie rausgehen, dass sie irgendetwas falsch machen, dass sie ausgelacht werden (…) ‚Wie kann ich mit anderen sprechen? Wie kann ich mit ihnen umgehen?‘ Das ist auch ein Problem.“

Flüchtlinge schämen sich unter Umständen dafür, dass sie keine Arbeit haben oder in beengten Wohnverhältnissen leben, in die man niemanden einladen möchte. Auch mangelnde Deutschkenntnisse spielen eine wichtige Rolle.

Kontaktbarriere 3: Soziale Ablehnung und Diskriminierung

Schlechte Erfahrungen mit der Mehrheitsgesellschaft können zum sozialen Rückzug führen. Mehrere Experten und Expertinnen schildern hier Erfahrungen der Flüchtlinge:

„Da kommt ein Asylbewerber zu mir ins Büro und erzählt: ‚Ich war heute unterwegs in den Deutschkurs, ich bin rein in die U-Bahn und dann habe ich mich hingesetzt. Eine Frau (…) ist weggegangen, sie wollte nicht neben mir sitzen.‘ Also das ist ein richtig großes Problem.“

„Meine Flüchtlinge haben mir erzählt, dass sie auch (…) negative Erfahrungen mit der Stammbevölkerung gemacht haben (...) Was haben die für Kontakte mit Deutschen? Bei der Ausländerbehörde, die sind nicht besonders freundlich. Beim Jobcenter, da kommt‘s auch auf den Sachbearbeiter an.“

Eine Sozialdienstmitarbeiterin berichtet weiter, dass diese negativen Erfahrungen wiederum zu Vorurteilen der Zuwanderer gegenüber den Deutschen führen können und ihre Motivation, Kontakt aufzunehmen, verringert.

Kontaktbarriere 4: Wohnsituation

Schon die Unterbringung der Flüchtlinge in zentralen Unterkünften wird von den Experten als Kontaktbarriere wahrgenommen. Sie denken, dass eine Veränderung der Wohnsituation ein Schlüssel für neue Kontakte sein könnte:

„Ich denke auch, dass das eigentlich der Schlüssel ist. Die Unterbringung (…) Das ist für mich wirklich auch eine ganz gefährliche Geschichte, weil irgendwann leben dann viele von den Bewohnern wirklich nur noch in ihren Kreisen und trauen sich dann gar nicht mehr raus (...).“

In durchmischten Wohngebieten wären Kontakte viel wahrscheinlicher. Außerdem könnte es das Knüpfen von Kontakten erleichtern, wenn durch eine bessere Wohnsituation auch das Selbstwertgefühl der Flüchtlinge größer wäre:

„Es würde die Berührungsangst sicherlich etwas reduzieren. Im Vergleich dazu, dass man in einer Riesenunterkunft wohnt und dabei vollkommen unterzugehen. Und auch das Gefühl von Gleichwertigkeit, ich glaube das entsteht durch eine eigene Wohnung. Das Gefühl: Ich bin jetzt da draußen und ich bin jetzt auch wirklich angekommen.“

Kontaktbarriere 5: Unsicherer Status oder Ablehnung

Eine Ablehnung des Asylantrags verändert das Leben der Flüchtlinge. Mehrere Experten berichten, dass die Ablehnung auch zu sozialem Rückzug oder sogar zu Depressionen führten.

Abgelehnte Asylbewerber oder Flüchtlinge mit unsicherem Status besitzen darüber hinaus häufig keine Arbeitserlaubnis, wodurch eine weitere Möglichkeit, Kontakte herzustellen, verloren geht.

Insbesondere die ehrenamtlichen Flüchtlingshelferinnen und -helfer sprechen in der Gruppendiskussion die Verzweiflung der Flüchtlinge, aber auch ihre persönliche Verzweiflung im Umgang mit Behörden an. Sie haben den Eindruck, dass Integration von Behörden bewusst boykottiert wird:

„Ich hatte mal einen Fall, wo sogar der Geschäftsführer mitwollte zum Ausländeramt. Aber es wurden x-mal Ausbildungsverträge abgelehnt (…) das zieht die Flüchtlinge so runter.“

Kontaktbarriere 6: Kulturelle Differenzen

Kulturelle Unterschiede können auf beiden Seiten zu Irritationen oder sogar zur Kontaktvermeidung führen. Zwischen Ehrenamtlichen und Flüchtlingen spielen z.B. die Themen Verbindlichkeit und Pünktlichkeit eine wichtige Rolle:

„Ich habe dann gemerkt, wie viel Wert wir auf Verbindlichkeit legen (…) wenn ich sage, ich bin um 12 Uhr da, dann bin ich spätestens um 5 nach 12 da und wenn nicht, dann rufe ich an. Das ist so wie ein deutsches Gesetz (…) die Ehrenamtlichen (…) die machen das klasse, aber die haben auch einfach Erwartungen. Und ich glaube, man muss da ohne Erwartungen ran gehen (…) das macht die Kontaktaufnahme schwierig.“

Die Flüchtlinge können hingegen befremdet sein, weil sie die Deutschen als verschlossen und kontaktarm wahrnehmen:

„Die Kultur findet in diesen Ländern viel auf der Straße statt. Sie sagen, dass wir (gemeint sind wir Deutschen) ganz für uns sind. Dass wir immer nur alleine sind.“

Plattformen für Kontakte

Es gibt diverse Barrieren, die den Kontakt zwischen Flüchtlingen und Deutschen erschweren oder verhindern. Das Engagement von Ehrenamtlichen hat entscheidenen Anteil daran, dass überhaupt eine Kontaktaufnahme stattfindet. Eine entscheidende Rolle dabei spielen zum Beispiel Kirchen und deren Angebote:

„Also ich habe eine Unterkunft, da ist neben dran eine Kirche. Und diese Kirchengemeinde hat beschlossen, dass sie sich um die Menschen, die in der Unterkunft wohnen, kümmert. Die sind ganz oft hingegangen und haben ein Kontaktcafé installiert und dann gehen sie jedes Mal vorher hin und klopfen überall (…). “

Zudem werden Sportgruppen und Schulen als wichtige Kontaktorte erwähnt.

Auch wenn es Angebote und Begegnungsorte gibt, wird insgesamt ein Mangel an Plattformen beklagt, auf denen sich Geflüchtete und Einheimische begegnen:

„Da bräuchte man Buddy-Projekte, Matching. Warum hat nicht jeder, der hier ankommt, einen zugewiesenen Menschen, der sich um ihn kümmert? Der ihn in sein Netzwerk mitnehmen kann?“

Kritisiert wird auch, dass Flüchtlinge aus manchen gesellschaftlichen Settings ausgeschlossen werden:

„Es gibt auch die jungen Leute (...) sie wollen in Diskotheken gehen, sie wollen in verschiedene Clubs gehen, sie wollen in ein Restaurant gehen, aber sie dürfen nicht rein. Wie kann man Kontakte bekommen, wenn sie von der Gesellschaft, von den verschiedenen Institutionen oder Plätzen ausgegrenzt werden?“

Mitten in Nürnberg?

Dank der engagierten Teilnahme der Flüchtlingshelfer und -helferinnen an den Gruppendiskussionen haben wir einen umfassenden Einblick in das soziale Leben der Flüchtlinge in Nürnberg erhalten. Die Erkenntnisse haben uns geholfen, die quantitative Befragung vorzubereiten.