Zusammenfassung

Julia Schimmer, Mira Eichholz, Elif Göksu und Lamyaa Ghazal im Gespräch (Foto: Tanja Elm)

Auf dieser Seite bringen wir zehn Monate Forschung zu ehrenamtlich aktiven Muslimas noch einmal auf den Punkt.

Unser Forschungsprojekt "Muslimas Aktiv - 'Wir sind dabei!' Muslimische Frauen engagieren sich" widmete sich der Problematik, dass Muslimas (letztlich stellvertretend verstanden als Beispiel für kulturelle Minderheiten) in der Freiwilligenarbeit der Mehrheitsgesellschaft unterrepräsentiert sind. Dabei stellen gerade Muslimas eine Zielgruppe dar, die in unserer Gesellschaft bereits vielfältig freiwillig aktiv ist und einen wichtigen Beitrag zur Lösung sozialer Probleme leistet.

Ein zentraler Gedanke hierbei war: Eine kulturell und religiös homogen zusammengesetzte Freiwilligenorganisation, welche Diversität nicht als Kennzeichen ihrer Organisationskultur bedient, fördert letztlich bewusst oder unbewusst, dass Minderheiten wie z. B. Muslimas keinen oder einen erschwerten Zugang zu ihr haben.

Ziele unseres Projekts waren deshalb, Handlungsempfehlungen für Freiwilligenorganisationen zu erarbeiten, mit denen dieser Zugang hergestellt und gefördert werden kann sowie das bestehende Engagement von Muslimas sichtbar zu machen. Dabei hat unser Projekt für die Praxis der Freiwilligenarbeit der Mehrheitsgesellschaft interessante Aspekte zutage gefördert.

Unsere allgemeinen Ergebnisse zum Engagement von Muslimas lassen sich drei Bereichen zuordnen:

Engagementmotive

In den Interviews zeigten sich einerseits vor allem Motive, die rund um die Religion und das Leben als Muslima in Deutschland kreisen. Demnach engagieren sich Muslimas oft, weil das Helfen ein zentraler Wert im Islam ist, weil sie gesellschaftliche Missstände, die sie als Muslima häufig selbst erlebt haben (z. B. Diskriminierung), bekämpfen und ein positives Islambild vermitteln möchten. Zum anderen kann gerade für Muslimas mit Zuwanderungsgeschichte das Ehrenamt Chancen für Qualifizierung, persönliche Weiterentwicklung und Vernetzung bieten.

Kulturell bzw. religiös geprägtes Verständnis des Helfens

Gegenseitige Hilfe ist ein zentraler Bestandteil der islamischen Kultur und wird selbstvertändlich im Alltag geleistet. Das stark formalisierte bürgerschaftliche Engagement, wie es viele Freiwilligenorganisationen vorwiegend anbieten, ist dagegen für manche, gerade zugewanderte, Muslimas erst einmal fremd.

Typische Orte des Engagements

Muslimas leisten umfangreich und in selbstverständlicher Weise in muslimischen Organisationen und Gemeinden ehrenamtliche Arbeit, auch wenn sie selbst diese Unterstützung nicht unbedingt als solche betiteln würden. Gerade für muslimische Gemeinden ist diese Hilfe existenziell. Muslimas sind aber auch in Organisationen der Mehrheitsgesellschaft tätig, wenn sie sich dort wohl und angenommen fühlen.

Handlungsempfehlungen für die interreligiöse/interkulturelle Öffnung von Freiwilligenorganisationen

Unter Berücksichtigung dieser Ergebnisse konnten wir acht Handlungsempfehlungen aufstellen, die dabei helfen sollen, eine interreligiöse und so auch interkulturelle Öffnung von Freiwilligenorganisationen der Mehrheitsgesellschaft zu unterstützen:

Öffnung muss man ernst meinen

Wer sich als Freiwilligenorganisation interreligiös bzw. interkulturell öffnen möchte, sollte dies aus Überzeugung tun. Diversität muss als Wert und Ziel von der ganzen Einrichtung getragen und gelebt werden. Eine Instrumentalisierung von Minderheiten, z. B. um mehr Freiwillige zu gewinnen, einem Trend zu folgen oder eine spezielle finanzielle Förderung zu erhalten, führt hier nicht zum Ziel.

Informationen müssen in die Community getragen werden

Um sich als interreligiös bzw. interkulturell offene Freiwilligenorganisation zu präsentieren, ist es wichtig, entsprechende Informationen an Einrichtungen und Schlüsselpersonen der Communities kultureller Minderheiten weiterzugeben. Genauso gilt es, über die Communities und ihre Aktivitäten informiert zu sein.

Die Vernetzung mit muslimischen Organisationen angehen

Über den Informationsaustausch hinaus gilt es, langfristige Netzwerkkontakte und synergetische Kooperationen auf Augenhöhe aufzubauen. Das bietet auch die Chance zur gegenseitigen Unterstützung bei der Gewinnung von Freiwilligen und Ressourcen. Perspektivisch kann so nicht nur die einzelne Freiwilligenorganisation, sondern auch die von der Mehrheitsgesellschaft geprägte lokale Freiwilligenszene insgesamt interreligiös bzw. interkulturell geöffnet werden.

Die Motive und die Lebenswelt von Muslimas aufgreifen

Entscheidend im Zuge der Öffnung ist auch, eine Identifikation der Muslimas bzw.  kultureller Minderheiten mit den Tätigkeiten der Freiwilligenorganisation zu fördern. Dies kann geschehen, indem ihre religiös bzw. kulturell geprägten Beweggründe sowie ihre Lebenswelt organisationskulturell aufgegriffen und Themen gesetzt werden, für die sich diese Menschen gerne einsetzen.

Interkulturelle Schulungen als zentrales Reflexionsinstrument

Um als Freiwilligenorganisation der Mehrheitsgesellschaft das notwendige kultursensible Grundverständnis für die angestrebte Öffnung zu entwickeln und zu vertiefen, können interkulturelle Schulungen für die einzelnen Mitglieder, die Zusammenarbeit im Team und die Organisationsentwicklung ein wichtiger Schlüssel sein. Entsprechende Schulungen vermitteln konkrete interkulturelle Kompetenzen und helfen den Öffnungsprozess zu reflektieren.

Interkulturelle Teams als Symbol für die interreligiöse Öffnung

Diversität ist eine Bereicherung - auch im eigenen Team. Nichts signalisiert und unterstützt eine interreligiöse bzw. interkulturelle Öffnung authentischer als  Diversität unter den koordinierenden bzw. hauptamtlichen Kräften selbst. Die interne Vielfalt macht eine interkulturelle Zusammenarbeit selbstverständlich und auch nach außen sichtbar. Für Muslimas bzw. Angehörige kultureller Minderheiten sind auf diese Weise Ansprechpartner/innen gegeben, die mögliche Hemmungen abmildern können.  

Den Zugang zum freiwilligen Engagement erleichtern

Das Ziel interreligiöser bzw. interkultureller Öffnung beinhaltet nicht zuletzt, den Zugang zu einer Freiwilligenorganisation für kulturelle Minderheiten wie Muslimas zu erleichtern. Hierfür gilt es zum einen über eine größere Variation der Engagementformate nachzudenken. Zum anderen ist wichtig, das Vertrauen der Muslimas in die eigenen Engagement-Kompetenzen und die Identifikation mit den Engagement-Themen zu stärken. Dafür muss sowohl die emotionale Zugänglichkeit als auch der Zugang zu konkreten Erfahrungen mit freiwilligem Engagement erleichtert und gefördert werden.

Die Anerkennungskultur an die Bedürfnisse von Muslimas anpassen

Darüber hinaus sollte ein Blick auf die Gestaltung der Anerkennungskultur geworfen werden, die ebenso kultursensibel angelegt sein sollte, um auf individuelle Bedürfnisse und Motive von Muslimas bzw. kulturellen Minderheiten generell adäquat einzugehen.

Unser Anliegen

Mit den Erkenntnissen dieses Forschungsprojekts möchten wir einen Beitrag dazu leisten, dass Muslimas als freiwillig Engagierte besser verstanden und stärker wahrgenommen werden. Darüber hinaus hoffen wir, dass im freiwilligen Engagement über Diversität in all ihren Spielarten weiter nachgedacht und diese zu einem aktiv gelebten Wert so mancher Freiwilligenorganisation erhoben wird. Engagementforschung, die Migrantenorganisationen jeglicher Art gleichwertig und vielfältig in ihre Samplings aufnimmt, um das Wirken von kulturellen Minderheiten ebenso zu untersuchen und abzubilden wie das der "Biodeutschen", kann hierzu einen entscheidenden Beitrag leisten.

Aus der Erfahrung der von ISKA selbst getragenen Freiwilligenzentren wissen wir, dass das trotz vieler Bemühungen nicht leicht umzusetzen ist. Auch wir befinden uns in dieser Hinsicht immer noch auf der Reise und noch nicht am Ziel. Denn Freiwilligenarbeit und Freiwilligenorganisationen haben, wie alles in unserer Gesellschaft, auch eine Eigendynamik, die die Distanzen zur gelungenen Umsetzung so mancher Vorhaben immer wieder ausdehnt. Wichtig ist dennoch, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren und Weiterentwicklung nicht zu scheuen. Hierfür sollen unsere Erkenntnisse eine Inspiration sein, um die eigene Praxis an mancher Stelle neu- oder zumindest umzudenken.