Methodik

Frau Dr. Erika Amina Theißen vom BFmF e.V. (o. l.) im Gespräch mit den Forscherinnen Dr. Mira Eichholz (o. r.), Elif Göksu (u. l.) und Julia Schimmer (u. r.) (Schreenshot aus der ISKA-Cloud)

Im Rahmen von Expertinneninterviews und Gruppendiskussionen befragten wir 15 ehrenamtlich aktive Muslimas in Nürnberg. Die Transkriptionen diskutierten wir in unserer interreligiösen Forscherinnengruppe und werteten sie mit der Grounded Theory aus. Zum Abschluss reflektierten wir unsere Eindrücke mit einer externen muslimischen Beraterin.

Unser Projekt startete mit der Suche nach Vereinen und Initiativen, in denen Muslimas ehrenamtlich aktiv sind. Zu rund 15 Organisationen und Initiativen in Nürnberg und Erlangen nahmen wir Kontakt auf. Ein Teil von ihnen erklärte sich bereit, an unseren Erhebungen mitzuwirken und stellte den Kontakt zu ihren engagierten Muslimas her, die wir daraufhin befragten.

Organisationen der befragten Muslimas

Die insgesamt 15 befragten Muslimas stammen u.a. aus folgenden Vereinen und Organisationen:

Zentrale Forschungsfrage

Welche Bedingungen braucht es in Freiwilligenorganisationen der Mehrheitsgesellschaft, wenn sie sich interreligiös bzw. interkulturell öffnen wollen? Diese Frage stand im Zentrum unseres Erkenntnisinteresses. Daraus ergab sich die Anschlussfrage, wie Muslimas als Freiwillige dieser Einrichtungen gewonnen werden können. Außerdem wollten wir herausfinden, woran es liegt, dass Freiwilligenorganisationen der Mehrheitsgesellschaft als Engagementort häufig unattraktiv für Muslimas sind. Diesen Forschungsfragen gingen wir im Rahmen einer qualitativ ausgerichteten Sozialforschung nach.

Expertinneninterviews

Wir starteten die Erhebungen mit fünf Expertinneninterviews (vgl. Liebold&Trinczek 2009). Dabei befragten wir freiwillig sowie hauptamtlich tätige Muslimas, die Multiplikatorinnen-Aufgaben übernehmen und mit den Netzwerken der (lokalen) Freiwilligenarbeit vertraut sind.

Neben Fragen zur eigenen Organisation bzw. Tätigkeit interessierten wir uns z.B. dafür, welche Rolle ihre Religion für ehrenamtliche Muslimas spielt, welche Ehrenamtsmotive bei dieser Zielgruppe beobachtet werden, welche Hindernisse es für die Aufnahme eines Ehrenamts geben könnte und inwiefern Unterschiede bei ehrenamtlich aktiven Muslimas im Vergleich zu anderen Freiwilligen gegeben sind. Ferner wollten wir von den Expertinnen wissen, welche Rahmenbedingungen Freiwilligenorganisationen für Muslimas bieten sollten und wie es um die interkulturelle bzw. interreligiöse Diversität und Vernetzung der Freiwilligenszene bestellt ist.

Die Expertinneninterviews wurden teils online, teils persönlich geführt.

Gruppendiskussionen mit Gesprächsimpulsen

Gruppendiskussionen (vgl. Lamnek 2005) haben den Vorteil, dass Betroffene der fokussierten Thematik, in diesem Fall muslimische, freiwillig engagierte Frauen, gemeinsam über Aspekte nachdenken und ihre Ansichten dazu miteinander reflektieren. Dies erleichtert eine lösungsorientierte Forschung und es stützt die Erarbeitung von Handlungsempfehlungen.

In jeder der drei Gruppendiskussionen wurden drei bis vier muslimische Frauen derselben Initiative eingeladen. In der Sozialforschung spricht man in diesem Zusammenhang von real existierenden Gruppen, die die Durchführung von Gruppendiskussionen erleichtern. Denn somit kannten sich die Frauen bereits über ihre Projekte, was eine Reflexion der gemeinsamen Erfahrungen in relativ vertrauter Atmosphäre ermöglichte. Die Muslimas wurden zunächst gebeten darüber zu sprechen, was das Ehrenamt ihnen bedeutet bzw. wie sie sich dabei fühlen. Daraufhin wurden sie gebeten zu diskutieren, inwieweit ihr Glaube mit dem Ehrenamt zusammenhängt und wann er im Ehrenamt in den Vordergrund bzw. Hintergrund tritt. Ein letzter Gesprächsimpuls bezog sich darauf, wie ein Ehrenamt gestaltet sein sollte, damit sie sich gerne engagieren.

Diskussionen per Videokonferenz

Die Gruppendiskussionen wurden aufgrund der Corona-Pandemie alle online durchgeführt. Zunächst hatten wir Bedenken, welchen Einfluss dieses Setting auf die Diskussionen haben könnte, da z.B. die nonverbale Kommunikation bei digitalen Treffen eingeschränkt ist und auch ein natürlicher, dynamischer Gesprächverlauf durch die technischen Voraussetzungen erschwert wird. Doch insgesamt fielen diese beschriebenen Nachteile in unseren Gruppendiskussionen nicht ins Gewicht.

Wir entdeckten sogar einen großen Vorteil der Videokonferenz: Eigentlich um Bandbreite zu sparen, deaktivierten wir die Kamera der Interviewerin, nachdem sie die einleitenden Gesprächsimpulse gegeben hatte. Sie war im folgenden Gesprächsverlauf nicht mehr per Videobild präsent. Dies führte dazu, dass die Teilnehmerinnen besonders ungezwungen und offen miteinander diskutierten. Somit haben Gruppendiskussionen per Videokonferenz auch positive Aspekte auf die Erhebungssituation, da sich die Diskutant/innen weniger beobachtet fühlen und ein vertrauter, authentischer Austausch gefördert wird.

Auswertung mit der Grounded Theory

Die Interviews und Gruppendiskussionen wurden alle mit einem Diktiergerät aufgezeichnet und anschließend teilweise verschriftlicht. Zur Analyse des Materials wurden die Transkripte entsprechend der interpretativen Auswertungsmethode der Grounded Theory (vgl. Strauss 1998) kodiert, um Antworten auf unsere Forschungsfragen zu finden sowie relevante Aspekte zu entdecken. Anhand des Materials haben wir übergeordnete Kategorien gebildet, denen sich die einzelnen Äußerungen thematisch zuordnen lassen.

Innerhalb unseres interreligiösen Forscherinnenteams interpretierten wir die Interviews gemeinsam und leiteten daraus Ergebnisse ab, die wir in mehreren Interpretationsrunden miteinander abglichen. Die so herausgearbeiteten Schlüsselkategorien stellen nun die drei zentralen Themenbereiche (Engagementmotive, Verständnis des Helfens, Engagementorte) unter freiwillig aktiven Muslimas dar, sowie die acht Handlungsempfehlungen für Freiwilligenorganisationen.

Aussagekräftige Kategorien

Interessant ist, dass wir mit dem gewählten Sample (der Stichprobe) eine hohe theoretische Sättigung erreichten. Das bedeutet, dass die zentralen Aspekte der Ergebnisse wiederholt in unserem Material auftraten und bekräftigt wurden. Damit lieferte es umfassende Beispiele für die von uns erarbeiteten Kategorien.  

So wurden die Schlüsselkategorien bereits in den ersten beiden Expertinneninterviews sichtbar und zogen sich durch fast alle Interviews und Gruppendiskussionen in Form ähnlicher Beispiele und Gedanken der weiteren Befragten durch.

Validierung der Ergebnisse

Ein wichtiges Gütekriterium der qualitativen Sozialforschung ist die sogenannte Validierung. Mit ihr soll geprüft werden, ob die/der Forschende wirklich das sieht, was sie/er zu sehen glaubt, also ob die Konstruktionen und Schlussfolgerungen der/des Forschenden begründet sind (vgl. Flick 2011, S. 492ff.).

In den Gesprächen haben wir die Aussagen der Muslimas stets wiederholt und zurückgespiegelt, um sicher zu gehen, dass das Gesagte richtig verstanden wurde. Außerdem haben wir unsere Interpretationen in einem interreligiösen Forscherinnenteam umfangreich diskutiert. Darüber hinaus haben wir die Ergebnisse einer externen muslimischen Beraterin, Frau Dr. Erika Amina Theißen vom BFmF e.V., vorgelegt und vor dem Hintergrund ihrer umfassenden Erfahrungen mit ehrenamtlich aktiven Muslimas reflektiert.

Auf diese Weise haben wir, zwei Forscherinnen ohne Zuwanderungsgeschichte und ohne eigene Bezüge zum Islam, den Blick der hier fokussierten Zielgruppe in mehrfacher Hinsicht fest in die Ergebnisgewinnung eingebunden.

Umgang mit Zitaten aus den sprachlichen Äußerungen

Unsere Schlussfolgerungen belegen wir, wie in der qualitativen Forschung üblich, mit Orginalzitaten aus den Interviews und Gruppendiskussionen. Die in dieser Internetpublikation verwendeten Zitate wurden zur besseren Lesbarkeit sprachlich geglättet. Zitate aus Expertinneninterviews sind mit einem "E" versehen, solche aus den Gruppendiskussionen wurden mit einem "G" kenntlich gemacht. Die zusätzliche Nummerierung (z.B. "E3" oder "G2") steht für das jeweilige Interview bzw. die jeweilige Diskussion.