Die Motive und die Lebenswelt von Muslimas aufgreifen

Ein gutes Freiwilligenmanagement ist unweigerlich mit Engagementmotiven verbunden. Denn alle Ehrenamtlichen haben individuelle Beweggründe, eingebettet in ihre Lebenssituation. Für eine gelingende Freiwilligenarbeit gilt es diese kennenzulernen und auf sie einzugehen - selbstverständlich auch, wenn es sich bei den  ehrenamtlich Aktiven um Muslimas handelt.

Muslimas haben unseren Ergebnissen zufolge ganz ähnliche Engagementmotive wie andere Freiwillige auch. Durch ihre (religiös geprägte) Biographie und Lebenswelt häufen sich aber bestimmte Motive (vgl. Arriagada&Karnick 2021, 119ff.; Haumann 2014). Hierzu gehören etwa

  • ein religiös geprägtes Bedürfnis zu helfen,
  • der Antrieb, soziale Probleme aufgrund eigener Erfahrungen anzugehen, wie z. B. Aufklärungsarbeit hinsichtlich des Islam zu betreiben,
  • eine Initiative bzw. Einrichtung aufgrund der persönlichen Identifikation zu unterstützen,
  • die eigenen Kompetenzen zu erweitern und
  • soziale Kontakte zu knüpfen.
Will sich eine Freiwilligenorganisation interreligiös und interkulturell öffnen, gilt es zu prüfen, inwieweit auf diese Motive in der eigenen Arbeit, in der Selbstdarstellung und den organisierten Projekten eingegangen wird. So sind Engagementfelder anzubieten und eine Freiwilligenarbeit nach außen zu präsentieren, die die Themen und gesellschaftlichen Probleme bearbeiten, die auch Muslimas beschäftigen und interessieren. Werden ihre Motive auf diese Weise aufgegriffen, signalisiert das den Muslimas, dass ihre Lebenswelt und ihre Erfahrungen mit der Gesellschaft in der Freiwilligenorganisation Platz finden, sie willkommen sind und dazugehören.

Rahmenbedingungen und Anerkennungskultur auf dem Prüfstand

Einen fruchtbaren Weg, um dies zu schaffen, sehen wir in der Reflexion der eigenen Organisation. Dafür ist es wichtig, über die Rahmenbedingungen sowie die Anerkennungskultur innerhalb der eigenen Engagementformate nachzudenken und sie so zu gestalten, dass sich jegliche Engagementmotive darin niederschlagen. So sollten Muslimas idealerweise schon bei der Entwicklung neuer Projektideen wie auch bei der Öffentlichkeitsarbeit eingebunden werden. Kooperationen mit Organisationen der Community sind dabei besonders vielversprechend, nicht zuletzt, um die bestehende Identifikation von Muslimas mit diesen Einrichtungen aufzugreifen. Das kann beispielsweise geschehen, indem die Feste ihrer Religion beachtet und gemeinsam gefeiert werden.

Darüber hinaus sollte das Motiv der persönlichen Weiterentwicklung aufgegriffen werden, indem z. B. Fortbildungen angeboten und entsprechende Zertifikate vergeben werden. Mitgebrachte berufliche Kompetenzen können so genutzt werden und Bescheinigungen für Qualifizierungen können überdies dazu beitragen, bestehende Kompetenzen zu legitimieren.

Im besten Fall geschieht dies alles eingebettet in eine Organisationskultur, die den sozialen Austausch unter den Mitgliedern fördert und so zur persönlichen Vernetzung beiträgt, z.B. indem auch gemeinschaftsstiftende Engagementformen und Anerkennungsformate mitgedacht werden. Auch hierzu können die Feste anderer Religionen einen geeigneten Aufhänger darstellen.

"Wenn die muslimischen Frauen motiviert sind, dann können sie was tun und was machen."

In unseren Interviews und Diskussionen kamen die Muslimas immer wieder darauf zu sprechen, wie stark ihre Engagementbereitschaft davon abhängt, wie sehr sie ihre eigene Motivation dort umsetzen können und ob dort für sie relevante Themen vertreten werden:

"Ein Motiv, (...) zum Beispiel ganz stark ist Kontakte knüpfen. Seit 2014 sind viele Menschen neu in Deutschland unterwegs und ich merke, dass sie halt aus ihrer Community rauskommen möchten und Kontakte mit anderen Menschen hier in Deutschland haben möchten mit Deutschen. Wo findet man Deutsche? Also, es ist paradox, aber wenn man hier neu ist, ist es nicht so einfach rauszukommen und die Deutschen zu treffen und wenn man zu [den Wohlfahrtsverbänden] geht und da freiwillige Arbeit leistet, dann hat man auch so eine Möglichkeit. (...) Weitere Motive sind die Sprache lernen zum Beispiel, also ich tue was Gutes, was meine Religion mir sagt, und dabei habe ich auch andere Möglichkeiten: ich verbessere meine Sprache, ich verstehe, wie die Gesellschaft funktioniert." (E4)

"Wenn die muslimischen Frauen motiviert sind, dann können sie was tun und was machen. Das hat etwas zu tun mit Sprache und Motivation, aber mit Religion sowieso. Wir sind verpflichtet den anderen zu helfen, wo wir können. Warum nicht? Wenn wir Zeit haben (...) und die Kraft und die Ausbildung, dann machen wir. Warum nicht?" (G2)

"Ich möchte irgendwie eingebunden werden und dass da einfach bessere Rahmenbedingungen geschaffen werden."

"Ich denke mal so, dass  (...) bei den Zugewanderten halt in erster Linie erstmal so bisschen Euphorie, auch Dankbarkeit ist und auch (...) ja, ich möchte irgendwie eingebunden werden, ja und dass da einfach bessere Rahmenbedingungen geschaffen werden. (...) Sei es vom Informationsmaterial und von dem wie halt auf diese Menschen zugegangen wird. (...) Und ich glaub, bei denen hier Sozialisierten (...) gibt es (...) [u.a.] diejenigen, die aktiv mitgestalten und verändern wollen, die suchen sich ihre (...) Nischen und die suchen sich auch gezielt Projekte aus." (E2)

"[Ein Hinderungsgrund für Muslimas im Ehrenamt] ist wirklich, man hat keinen Bezug zu dem Thema. Und oft ist man auch (...) in einer Schublade. Also, wenn ich irgendwo was machen will, dann denkt man immer interkulturell, religiös und das war es. Aber unsere Gesellschaft hat viel mehr. Und mich interessiert auch viel mehr." (E5)

"Dieses Spüren, (...) dass da einfach im Gedanken und vom Wunsch her eigentlich wir eine schon viel weitere Gesellschaft sind, (...) also wenn man das dann realisiert, dass das halt nicht so ist, (...) ist glaub ich auch so bisschen dieser Wunsch, das ein bisschen zurechtzurücken und auch ein bisschen da mitzumischen und auch die Stimme da lauter werden zu lassen von einer (...) ganz neuen Eigendefinition, ja von dem was man ist. Also klar ist die Kultur von meinen Eltern irgendwo ein Teil von mir und die deutsche Kultur genauso. (...) Ich bin aber hier ganz klar sozialisiert und fühl mich auch zugehörig, aber mir wird das ein bisschen abgesprochen und (...) meine religiöse Identität hat irgendwie (...) gar keinen Platz, also sowohl kulturell nicht, also auch irgendwie hier nicht und wie ist das dann einzuordnen? Und ich glaube so geht es sehr sehr vielen, die jetzt in meiner Generation sind (...) und halt vielleicht auch noch ein bisschen älter als ich, dass einfach dieser Wunsch [besteht und] die Akzeptanz, dass ein Mensch sagen kann, ich fühl mich deutsch, aber trotzdem muslimisch. Weil das sind einfach zwei Aspekte meiner Identität, die für mich vereinbar sind und mit diesem Selbstbewusstsein trete ich auch hier auf." (E2)

Die Diskussion hinter der Handlungsempfehlung

In unseren Gesprächen haben wir grundsätzlich die Frage gestellt, woran es liegen könnte, dass Muslimas in Freiwilligenorganisationen der Mehrheitsgesellschaft vielerorts so wenig vertreten sind. Die obige Handlungsempfehlung deutet die Stoßrichtung ihrer Antworten an: Häufig bilden die gegebenen Engagementformate nicht die Lebenswelt oder die zentralen Themen ab, die Muslimas entsprechen. Sie repräsentieren ihre eigenen Erfahrungswerte nicht und sind damit unattraktiv für sie.

Muslimas in allen Engagementbereichen mitdenken - die Vielfalt des Lebens nutzen lernen

Zudem sollte die Freiwilligenorganisation möglichst nicht allein bei interkulturell ausgerichteten Projektformaten verweilen, um kulturelle Minderheiten anzusprechen. Stattdessen gilt, sich aktiv mit ihrer Lebenswelt auseinanderzusetzen, um diese in ihrer Vielfalt aufzugreifen. So scheint z. B. aufgrund des religiös geprägten Verständnisses des Helfens ein zentraler Aspekt zu sein, insbesondere soziale Engagementformen anzubieten. Für zugewanderte Muslimas birgt dies die Möglichkeit, sich für selbst empfangene Hilfe zu revangieren und sie zurückgeben zu können. Dieser Gedanke ist eng mit den genannten Projekten im interkulturellen Bereich verknüpft, der in Freiwilligenorganisationen oft den einzigen Bereich darstellt, in dem Angehörige anderer Kulturen zu den Ehrenamtlichen gehören. Doch haben unsere Gesprächspartnerinnen immer wieder betont, dass es wichtig ist, sie nicht auf diese Formate zu reduzieren, sondern sie in allen Bereichen mitzudenken. Denn die Lebenswelten von Muslimas sind genauso vielfältig wie die von allen anderen Bürgerinnen auch.

Gemeinsame Projekte von Freiwilligenorganisationen und Communities

Wie in den Engagementmotiven genannt, ist es einem Teil der Muslimas wichtig, ein positives Bild des Islam zu vermitteln und über ihn aufzuklären. Auch hier stellt sich die Frage, ob dieses Themenfeld ebenso von den Freiwilligenorganisationen der Mehrheitsgesellschaft aufgegriffen werden könnte. Idealerweise geschieht das in Kooperation mit islamischen Organisationen, um in dieser Hinsicht Unterstützung zu leisten und die Arbeit der Community stärker in die Freiwilligenarbeit der Mehrheitsgesellschaft zu integrieren.

Die Motivation von Angehörigen von Minderheiten, sich dort einzusetzen, wo sie selbst Bedarf sehen und das Engagement besonders wichtig finden, hat eine klare Daseinsberechtigung. In dieser Hinsicht sei noch einmal darauf verwiesen, dass gemeinsame Projekte und Aktionen mit Organisationen der Communities auch eine Strategie sein können, die Lebenswelt und die Motive von Muslimas wie auch anderen Minderheiten aufzugreifen, ohne deren Freiwillige, quasi versehentlich, abzuwerben.