Öffnung muss man ernst meinen

Ob interreligiöse oder interkulturelle Öffnung - wenn sie nur aus Pflichtbewusstsein und nicht aus echter Überzeugung angestrebt wird, schlägt sie fehl. Diversität darf nicht nur das Ziel von einigen Projekten sein, sondern muss als Wert von der gesamten Einrichtung getragen und repräsentiert werden.

Besonders in der sozialen und kulturellen Engagementszene ist Diversität ein Wert, der als selbstverständlich anerkannt gilt. Nicht selten sind Projekte dazu gedacht, kulturelle Vielfalt zu verstärken, Diskriminierung abzubauen und Völkerverständigung einen Rahmen zu bieten. Doch mit Blick auf die Öffentlichkeitsarbeit, auf Teamzusammensetzungen und Wordings wird immer wieder deutlich, dass Diversität nicht stringent und konsequent in die Tat umgesetzt wird.

Für Muslimas (hier stellvertretend für Minderheiten in unserer Gesellschaft) ist es jedoch wichtig, dass dieser Wert aus Überzeugung vertreten wird, nicht zuletzt um sich selbst angesprochen und willkommen zu fühlen. Wird Diversität nur angestrebt, weil ein kleiner Teil der Belegschaft sie wichtig findet oder weil es in der Szene zum guten Ton gehört, sich als interreligiös/interkulturell offen darzustellen, dann wird eine echte Öffnung wohl nicht gelingen. Angehörige religiöser oder kultureller Minderheiten spüren dann, dass wenig Sensibilität für das besteht, was ihnen aufgrund ihres Backgrounds persönlich wichtig ist. In der Folge ist die Freiwilligenorganisation als Engagementort für sie unattraktiv.

Interreligiöse/interkulturelle Öffnung muss authentisch sein

Darum ist unsere allererste und wohl wichtigste Handlungsempfehlung: Interreligiöse und interkulturelle Öffnung muss von den Organisationsmitgliedern gewollt und authentisch gelebt werden. Dies ist eine Voraussetzung für einen reflektierten Umgang mit anderen Religionen und Kulturen, der hilft, Diskriminierung zu vermeiden.

Interreligiöse/interkulturelle Öffnung ist aus unserer Sicht dann gegeben, wenn eine Sensibilisierung dafür stattgefunden hat, was es heißt, zu Minderheiten der Gesellschaft zu gehören. Dazu gehört auch, dass kulturelle Unterschiede nicht mehr problematisiert, sondern als selbstverständlich und bereichernd angesehen werden. Nur so kann eine Organisationskultur geschaffen werden, in der sich alle - auch Angehörige von Minderheiten - willkommen und gewertschätzt fühlen.

Eigene kulturelle und religiöse Sensibilität hinterfragen

Ein wichtiger Schritt dahin ist es, die eigene Organisationskultur immer wieder zu prüfen und zu überdenken. Im Falle der Zielgruppe der Muslimas kann man z. B. anhand folgender Fragen die eigene Sensibiliserung in den Blick nehmen:

  • Wird an Festen beim Essen auf Regeln hinsichtlich der Zutaten geachtet?
  • Wird ein Setting gewählt, in dem sich Muslimas wohlfühlen?
  • Wird bei Terminfestlegungen auf den Kalender nicht-christlicher Religionen geschaut, um deren Feiertage zu beachten?
  • Gibt es eine einfache Rückzugsmöglichkeit, die für das Gebet genutzt werden kann?
  • Ist das Team selbst aufgeschlossen und vorurteilsfrei gegenüber Muslimas bzw. gegenüber dem Islam allgemein?

Hierzu gehört auch, die religiöse Lebenswelt von Muslimas zu beachten, sie wahrzunehmen und auf sie einzugehen. So sollte man beispielsweise sensibel für moralische Konflikte sein, die Muslimas aufgrund ihrer Religion mit Themen, Umständen, Rahmenbedingungen oder Techniken im freiwilligen Engagement haben können. Wie im Umgang mit allen Mitmenschen gilt es, Grenzen zu respektieren, die Muslimas in ihrem Tun selbst setzen und zusätzlich Freiräume zu schaffen, sodass sich die Frauen nicht als begrenzt, sondern als selbstbestimmt erleben können. Eine offene, kultursensible Gesprächskultur ist hierfür essenziell.

Ein wichtiger Schritt zur Vorbereitung der Öffnung kann ein interkulturelles Training sein, an dem die bestehenden Organisationsmitglieder teilnehmen, nicht zuletzt um Unsicherheiten im eigenen Denken und Handeln abzubauen.

"Was man sagt, sollte man auch vorleben."

Diese Handlungsempfehlung leiten wir aus den Aussagen ab, die unsere muslimischen Gesprächsparterinnen uns gegenüber äußerten. Für alle ist eine ehrliche, offene und wertfreie Haltung der Organisation und ihrer Mitglieder die wichtigste Voraussetzung:

"Erstens müsste man dieses Gefühl vielleicht auch präsenter machen, wie: 'Du bist willkommen, und zwar auch mit deiner Religion und du kannst sie auch ausleben hier.' Also für mich stellt sich oft die Frage: Ja okay, (...) da will ich aktiv sein. Ja, wie sieht das aus? Kann ich hier beten oder nicht? Wie wird das angenommen? Muss ich das jetzt heimlich machen? (...) Mir müsste das Gefühl gegeben werden: ey, das ist vollkommen okay. Hier sind die Räumlichkeiten. (...) Man erwartet nicht viel. Man braucht da keinen extra Gebetsraum oder so, aber von der Haltung her muss das (...) offen wirken, dass man sich als Person, auch als religiöse Person, willkommen fühlt und nicht sagt: Ich (...) kann irgendwie nur die Hälfte von mir zeigen und die andere Hälfte, über die schweige ich lieber, weil die kommt vielleicht komisch an." (G1)

"Was man sagt, sollte man auch vorleben. (...) Ich würde es super begrüßen, wenn man (...) überall diese Diversität sieht. Wenn man sie denn will." (E5)

"Willkommen sein mit der Religion, dieses Gefühl braucht man. Nicht willkommen sein trotz der Religion. (...) Das ist eine gewisse Haltung, die merkt man sofort. Und dann, wenn es dann heißt: 'ja, was ist der Grund? Warum hat es nicht funktioniert?', das mag man dann auch nicht benennen. Aber alle wissen, dass es so ist, weil jemand auch, der das Gefühl einem gibt, der weiß ja, was er für eine Einstellung hat." (G1)

Die Diskussion hinter der Handlungsempfehlung

Die dahinterliegende Diskussion thematisiert insbesondere Erfahrungen mit Diskriminierung und Stereotypen, welche einen Rückzug in die "Safe Spaces" der eigenen religiösen Gemeinschaft bewirken können.

Menschen nicht auf religiöse Zugehörigkeit reduzieren

In den geführten Interviews und Gruppendiskussionen berichtete ein Teil der Muslimas von der Erfahrung, nicht als Mensch, sondern als Muslima wahrgenommen zu werden. Damit geht für manche Muslimas das Gefühl von Diskriminierung einher, weil ihre Religion wie auch ihre Rolle als Frau in dieser Religion vonseiten der Mehrheitsgesellschaft teilweise negativ oder sogar als angsteinflößend wahrgenommen wird. Besonders das Tragen eines Kopftuchs scheint, neben Merkmalen, die auf eine Zuwanderungsgeschichte hindeuten, zu diesen Diskriminierungserfahrungen zu führen.

Viele Muslimas berichten auch davon, auf ihre religiöse Zugehörigkeit oder ihren Migrationshintergrund reduziert zu werden. Damit einher gehen oft auch automatische Zuschreibungen, die sie in eine bestimmte Rolle drängen. Wenn sie nicht einfach als Mensch oder Frau wahrgenommen werden, sondern als z. B. muslimische Frau, zugewanderte Frau, Fremde, Andersartige, Unterdrückte etc., besteht die Gefahr, dass sich Muslimas in Freiwilligenorganisationen der Mehrheitsgesellschaft nicht angenommen, nicht willkommen fühlen.

Sich engagieren ohne erst einmal gegen Stereotype kämpfen zu müssen

Die Muslimas berichten von dem Eindruck, erst beweisen zu müssen, dass sie genauso dazugehören, die gleichen Werte vertreten, sich für bestimmte Dinge interessieren, sich für eine Sache einsetzen wollen, wie Angehörige der Mehrheitsgesellschaft. Das Gefühl, mit Stereotypen belegt zu werden, bewirkt, dass die Muslimas Engagementmöglichkeiten der Mehrheitsgesellschaft erst gar nicht als für sich passend in Erwägung ziehen. Eine Gesprächspartnerin sagt in diesem Kontext:

"Man macht ja gerade ehrenamtliche Arbeit aus sich heraus, um was Positives zu schaffen und vielleicht auch etwas Positives zurück zu bekommen. So. Wenn ich jetzt irgendwo ehrenamtlich aktiv sein möchte und man eh schon hier in der deutschen Gesellschaft mit gewissen Rassismen, Diskriminierung zu kämpfen hat, dann möchte man nicht in der Arbeit noch mehr Diskriminierung erfahren. (...) Da will ich lieber da aktiv sein, (...) wo man weiß, da bin ich schon willkommen, da bin ich als Ich angenommen und kann gleichzeitig was Positives schaffen." (G1)

Diese Äußerung unterstreicht noch einmal, wie wichtig für Organisationen eine Sensibilisierung für eine ernstgemeinte interreligiöse/interkulturelle Öffnung ist. Denn nur dadurch kann eine Organisationskultur entstehen, in der die Unterschiede keine Rolle im Miteinander spielen (vgl. Düsener 2010, S. 162). Das ist wohl die wertvollste Wirkung, die dieser Öffnungsprozess mit sich bringen kann.