Die Vernetzung mit muslimischen Organisationen angehen

In der Freiwilligenarbeit kommt man um eine gute Vernetzung nicht herum. Wer sich interreligiös bzw. interkulturell öffnen möchte, sollte deshalb auch bei der Vernetzungsarbeit interreligiös/interkulturell denken und vorgehen.

Entsprechende Kooperationen und Netzwerkpartner sind wichtige Strukturen für eine gelingende Öffnung gegenüber jeglichen Kulturen und Religionen. Hierbei gilt es, Initiativen und Vereinigungen vor Ort zu finden, mit denen man Brücken zwischen Communities und Mehrheitsgesellschaft bauen kann. Mit ihnen das Gespräch zu suchen, den Informationsaustausch zu installieren und Synergien zu entdecken, ist sowohl nach innen als auch nach außen ein Zeichen der Öffnung und ein Beitrag zur Diversität.

Dauerhafte Vernetzung für eine nachhaltige interkulturelle Zusammenarbeit

Auf diese Weise wird der Wille zur interreligiösen/interkulturellen Zusammenarbeit deutlich und der Zugang wird erleichtert. So können Netzwerkpartner der Communities sowohl das entsprechende Wissen über andere Kulturen vermitteln als auch den Weg zu Angehörigen anderer Kulturen bereiten. Solche Netzwerkkontakte sollten möglichst längerfristig angelegt sein und nicht nach einzelnen Aktionen enden. Auf Dauer angelegte Vernetzungsstrukturen sorgen potenziell für eine nachhaltige interkulturelle Öffnung vor Ort, indem die Freiwilligenarbeit der Mehrheitsgesellschaft Stück für Stück mit derjenigen der Communities verzahnt wird.

Allerdings muss dabei ein Bewusstsein für die Unterschiede in der jeweiligen Ressourcenausstattung gegeben sein (vgl. Ersoy et al. 2018). Viele Migrantenorganisationen werden rein ehrenamtlich getragen und haben nur wenig finanzielle Mittel zur Verfügung. In dieser Hinsicht kann Vernetzung auch bedeuten, sich gegenseitig beratend zur Seite zu stehen und Handlungsweisen auszutauschen, damit Ressourcen gemeinsam ausgebaut und bestmöglich genutzt werden können. Dies kann z. B. eine Fortbildung zum Thema Projektgelder-Akquise sein oder bis hin zur stellvertretenden Mitteleinwerbung für ehrenamtlich getragene Initiativen gehen (vgl. Böllert et al. 2020, S. 30). Das kann aber auch bedeuten, sich innerhalb einer aktiven Zusammenarbeit zwischen hauptamtlich geführten und ehrenamtlich getragenen Freiwilligenorganisationen auf die Arbeitsweise letzterer einzulassen.

Gegenseitige Unterstützung bei der Gewinnung neuer Freiwilliger

Auch eine gegenseitige Unterstützung bei der Gewinnung von neuen Freiwilligen ist ein großes Potenzial dieser Vernetzung, und zwar in beide Richtungen: Es können sowohl Angehörige kultureller Minderheiten als Ehrenamtliche der Freiwilligenorganisation gewonnen werden als auch "Biodeutsche" als freiwillig Engagierte in Migrantenorganisationen. Auf diese Weise wird Diversität gemeinsam aktiv gefördert und gelebt.

Zentrales Ziel ist bei all dem eine Vernetzung, die so angelegt ist, dass die viel zitierte Augenhöhe in diesen Kooperationsverhältnissen trotz aller struktureller Unterschiede dennoch gegeben ist.

Wissen austauschen und Ressourcen gemeinsam nutzen

Diese Handlungsempfehlung entstand aus den Gesprächen mit unseren Muslimas, in denen sie immer wieder betonten, wie wichtig die Vernetzung und Zusammenarbeit auf Augenhöhe ist, damit beide Seiten profitieren können:

"Wir hatten [bei einer Veranstaltung] von uns auch sehr viele muslimische Organisationen, Vereine (...) und viele haben so ihre Nische in der Moschee und machen inhaltliche Arbeit, aber es ist schwierig. Und dann haben wir gemerkt einfach, wie diese ehrenamtliche Arbeit auch zäh vor sich hingeht. Sie würden gerne bisschen mehr fachliche Unterstützung haben, wo sie sagen 'So Leute [das] machen wir, reflektiert über die Arbeit, was macht ihr gerade, wo wollt ihr hin, wie kann Schritt für Schritt das aufgebaut werden?' und so weiter. Und das ist zum Beispiel, wo ich das begrüßen würde, wenn die Leute eigentlich so Unterstützung auch von den großen Vereinen [gemeint sind hier die großen Wohlfahrtsträger] [erhalten], (...) weil sie mehr Erfahrung in Bezug auf ehrenamtliche Arbeit [haben], dass sie einfach auch solche Schulungen aus ihrer eigenen Erfahrung für die Moscheemitglieder oder so was anbieten können, oder sagen 'wir machen das so und wie könnt ihr das machen'. (...) Das wäre ein Vernetzungspunkt, wo ich mir denke, ja da können sie auch unterstützen, voneinander lernen." (E1)

"Ich würde auf jeden Fall sagen, [Vernetzung kann gut unterstützt werden über] gemeinsame Projektformate, die für jeden einen Mehrwert darstellen, also die so im Sinne der nicht muslimischen Träger sind, aber wo halt auch einfach die Muslime von ihrer Lebenswelt und von ihren Problemen her davon profitieren würden bei dem Projekt mitzumachen. Das sind auf jeden Fall immer gute Möglichkeiten und  (...)  vielleicht halt auch übergeordnete Themenfelder [in denen man zusammenarbeitet]. (...) Das fördert in der Hinsicht, dass man mal zusammenkommt, sich kennenlernt und auch schaut, wo gibt es jetzt Überschneidungspunkte." (E2)

"Man braucht Kooperation auf Augenhöhe"

"Man braucht diese Kooperation auf Augenhöhe. Aber man braucht auch entsprechende Rahmenbedingungen. Jetzt müssen Sie sich vorstellen, [Ihre Organisation] wird finanziert, hat Hauptamtliche, die das weiterführen. Was haben wir auf der anderen Seite? Wir haben, wenn es hoch kommt, Vereine, und wenn es ganz gut läuft irgendeinen Verband, der in Berlin hockt. Vereinsarbeit, da sind schon viele überfordert, weil der Vorstand wechselt ständig. Das Wissen wandert ab. Oder einer hat den Hut so lange auf, bis es nicht mehr geht. (...) Mit welchen Strukturen? Viele haben kein-, nicht einmal Vereinsräume. (...) Also, es ist ein finanzielles Problem. Hier werden Strukturen, in welcher Form auch immer, ähm sind beständig, hier nicht. Hier sitzen (...) Hauptamtliche (...) oder auch Ehrenamtliche, die aber soweit professionalisiert sind. Da sitzen [überspitzt] irgendwelche Lagerarbeiter, irgendwelche Azubis, irgendwelche angehenden Lehrkräfte, wie auch immer, die irgendein Thema beackern, weil sie das richtig und wichtig finden. Gegen Strukturen ankämpfen. Äh, nicht diese Rahmenbedingungen haben, die diese mehrheitsgesellschaftlichen Strukturen haben. (...) Wann machen sie es denn? Sie machen es, (...) wenn sie halt ihre (...) normalen Brötchen verdient haben und noch Zeit dafür erübrigen. (...) Wann wird hier gearbeitet? Bürozeiten. (...) Entweder muss die Seite [der hauptamtlich arbeitenden Organisationen] (...) in die Strukturen, und Abends oder Wochenends [arbeiten], (...) nicht erwarten, dass der jetzt super tolles Protokoll schreibt, weil die Struktur gibt es nicht her. Oder, was ich bevorzugen würde, man hebt die andere [der ehrenamtlich Getragenen]. So weit, dass sie eine Beständigkeit schaffen können. (...) Also, Strukturprobleme müssten erst mal angegangen werden, um überhaupt auf derselben Ebene agieren zu können." (E5)

Die Diskussion hinter der Handlungsempfehlung

Die vorangestellten Zitate machen die dahinterliegenden Diskussionen bereits sehr deutlich: Vernetzung ist zwar oft der Schlüssel, sie kann aber meist nur dann richtig geleistet werden, wenn genug Zeit und Ressourcen zur Verfügung stehen und wenn sie in einem ausgeglichenen Machtverhältnis stattfindet.

Kooperationen nicht als Mittel zum Zweck, sondern um Synergien und Diversität zu fördern

Die großen Unterschiede zwischen den meist selbstorganisierten, rein ehrenamtlich getragenen Initiativen der Communities und den oft stark strukturierten und professionalisiert gewachsenen Freiwilligenorganisationen der Mehrheitsgesellschaft bringen verschiedene Rahmenbedingungen, Arbeitsweisen und Ressourcen mit sich. Genau an dieser Stelle entsteht häufig der Bruch in den Kooperationsbemühungen. Diesen Bruch gilt es durch gegenseitige Unterstützung und Verständnis, durch Wissenstransfer und letztlich durch gut gemachte Infrastrukturförderung vor Ort (auch für den selbstorganisierten Engagementbereich) zu überwinden, um die unterschiedlichen Arbeitskulturen zusammenbringen zu können.

Wichtig ist zudem, dass die Vernetzung von den Freiwilligenorganisationen der Mehrheitsgesellschaft nicht betrieben wird, um die Seite der Communities zu instrumentalisieren. Es geht also nicht um eine Zusammenarbeit, die nur dazu dient, weil sonst eine Finanzierung nicht klappt oder weil es Trend ist, interkulturelle Projekte zu starten. Stattdessen sollten interreligiöse bzw. interkulturelle Netzwerkkontakte gesucht werden, weil man die Communities als gleichwertige und relevante Partner in der Engagementszene ansieht, mit denen eine Kooperation wichtige Synergien schafft und Diversität vor Ort fördert.