Stand der Forschung

Zum Zeitpunkt der ISKA-Erhebung "NICHT MIT LEEREN HÄNDEN" im Spätsommer 2016 lagen im deutschsprachigen Raum praktisch keine Studienergebnisse über Kompetenzen von Flüchtlingen vor. Parallel wurde die bundesweite IAB-BAMF-SOEP Studie durchgeführt.

Relevante Studien

  • Early Intervention – eine 2014 bis 2015 durchgeführte Begleitforschung eines Modellprojekts zur Integration von Asylbewerber/innen.

  • BAMF-Flüchtlingsstudie 2014 – eine bundesweite Studie über die Gestaltung der Lebenssituation von Menschen mit positivem Ergebnis des Asylverfahrens.

  • IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten – eine zwischen Juni und Oktober 2016 (erste Welle) durchgeführte, bundesweit repräsentative Befragung von Flüchtlingen zu unterschiedlichen Themen.
  • Freiwilligensurvey – eine im Jahr 2014 zum vierten Mal durchgeführte, repräsentative Befragung zum freiwilligen Engagement in Deutschland.

Early Intervention: Stichprobe und Methodik

Das Modellprojekt "Early Intervention" wurde Anfang 2014 aufgelegt, um eine schnelle Integration von Asylbewerber/innen in den Arbeitsmarkt und in die Gesellschaft zu erreichen. Insgesamt wurden 1.100 Personen einbezogen – aus neun Herkunftsländern mit einer hohen Bleibewahrscheinlichkeit. Die Probanden wurden nach festgelegten Kriterien ausgewählt, die Teilnahme am Programm war freiwillig.

Die Ergebnisse der Begleitforschung sind nicht repräsentativ. Die Daten wurden im Rahmen von Gesprächen erfasst (Dietz / Trübswetter, 2016, S. 4-5).

Early Intervention: Ergebnisse

Das ISKA übernahm aus dieser Studie die Kategorisierung der Berufsrichtungen nach der "Klassifikation der Berufe" (KldB). Demnach hatten die Teilnehmer/innen von Early Intervention zu 25% Berufserfahrung im Berufsbereich "Rohstoffgewinnung, Produktion und Fertigung" (vs. 35% bei uns), zu 20% im Feld "Gesundheit, Soziales, Lehre und Erziehung" (vs. 18%) und zu 13% im Bereich "Kaufmännische Dienstleistungen, Warenhandel, Vertrieb, Hotel und Tourismus" (vs. 22%) (ebd., S. 5).

BAMF-Flüchtlingsstudie 2014: Stichprobe und Methodik

In der BAMF-Flüchtlingsstudie wurden bundesweit Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge aus Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Sri Lanka und Syrien schriftlich befragt. Die Geflüchteten waren zwischen 18 und 69 Jahre alt. Die Stichprobe wurde disproportional nach Herkunftsländern geschichtet. Die Abfrage der Wohnadressen erfolgte über die örtlichen Ausländerbehörden im Juli 2014. Rund 2.800 Fragebögen konnten in die Auswertung einbezogen werden. Der Rücklauf war mit 53% hoch (Worbs / Bund, 2016, S. 1-2).

Neben dem bundesweiten Fokus sowie der Begrenzung auf Asylberechtigte bzw. anerkannte Flüchtlinge ergibt sich durch das Ankunftsdatum der Geflüchteten ein deutlicher Unterschied zu unserer Stichprobe: 90% der Befragten der BAMF-Flüchtlingsstudie sind bis 2012 nach Deutschland zugereist (ebd., S. 3). Bei "NICHT MIT LEEREN HÄNDEN" sind dagegen fast 90% der Befragten ab dem Frühjahr 2015 zugewandert. Zudem gab es bei der BAMF-Flüchtlingsstudie keine Begrenzung auf Asylbewerberunterkünfte.

Die Forscher/innen berichten von verschiedenen Problemen bei der rein schriftlichen Befragung von Geflüchteten. Diese Hinweise gaben den Ausschlag für unsere Wahl der mündlichen Befragung als zentraler Methode.

BAMF-Flüchtlingsstudie 2014: Ergebnisse

Unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Grundgesamtheiten lassen sich folgende vorsichtige Vergleiche ziehen:

  • Schuljahre: Die Befragten Syrer/innen der BAMF-Flüchtlingsstudie haben zu 46% mehr als 9 Jahre die Schule besucht (vs. 50% bei uns). Iraker/innen haben zu 29% mehr als 9 Jahre die Schule besucht (vs. 30%). Während diese Ergebnisse sehr ähnlich sind, gaben bei der BAMF-Flüchtlingsstudie deutlich mehr Personen an, keine Schule besucht zu haben (Syrien: 16% vs. 0%, Irak: 26% vs. 8%) (ebd., S. 4).

  • Derzeitige Beschäftigung: Die Beschäftigungssituation lässt sich aufgrund der Stichprobenunterschiede kaum vergleichen. Trotzdem ist es interessant, dass 46% der Befragten der BAMF-Flüchtlingsstudie zum Zeitpunkt der Befragung berufstätig oder in Ausbildung waren (ebd., S. 7).

  • Berufsaspiration: 88% der Geflüchteten bejahten die Frage, ob sie in Zukunft in Deutschland (wieder oder weiterhin) berufstätig sein möchten (ebd., S. 7). Bei uns fiel die Zustimmung mit 95% noch höher aus.

Weitere interessante Ergebnisse der BAMF-Flüchtlingsstudie liefert die Frage nach Wünschen für das weitere Leben. Fast die Hälfte der Geflüchteten nannten Wünsche im Feld berufliche Integration bzw. spezifische Berufswünsche (ebd., S. 9ff.).

IAB-BAMF-SOEP-Befragung: Stichprobe und Methodik

Die Studie betrachtet die Situation von erwachsenen Geflüchteten, die zwischen Januar 2013 und Januar 2016 nach Deutschland zugewandert sind und einen formellen Asylantrag beim BAMF gestellt haben. Die Flüchtlinge wurden unabhängig von Status und Herkunftsland einbezogen. Die Studie ist als längsschnittliche, jährliche Wiederholungsbefragung angelegt (IAB, 2016, S. 15ff.).

Die Grundgesamtheit umfasste zum Beginn des Feldzugangs im Juni 2016 529.078 Menschen (ebd., S. 15). Die Ziehung der Stichprobe erfolgte auf Basis des Ausländerzentralregisters. Insgesamt wurden bis September 2016 2.349 geflüchtete Menschen befragt. Das entspricht einem Anteil von 0,4% der Grundgesamtheit. Die Autoren werten die Ergebnisse als repräsentative Befunde (ebd., S. 16-17).

Neben dem bundesweiten Fokus und der damit einhergehenden höheren absoluten Zahl an Befragten ist der Hauptunterschied der Stichprobe im Vergleich zu "NICHT MIT LEEREN HÄNDEN" die fehlende Beschränkung auf Gemeinschaftsunterkünfte sowie auf bestimmte Herkunftsländer.

Wie bei uns wurde die Befragung face to face durchgeführt und direkt elektronisch eingegeben. Sprachvermittler/innen wurden nur bei Bedarf eingesetzt. Dafür wurden die Geflüchteten mit Hilfe von eingesprochenen Audiodateien unterstützt. Die Erhebungsinstrumente standen in den Sprachen arabisch, kurmandschi, farsi, urdu, paschtu, deutsch und englisch zur Verfügung (ebd., S. 18ff.)

IAB-BAMF-SOEP-Befragung: Ergebnisse

Neben interessanten Ergebnissen zu Motiven und Kosten der Flucht (ebd., S. 21 ff.), dem Ankommen in Deutschland (ebd., S. 34ff.) sowie Werten, Persönlichkeitsmerkmalen und subjektivem Wohlbefinden (ebd., S. 76ff.) wurden die Geflüchteten nach Bildungshintergrund, Aspirationen, der Arbeitssituation und sozialen Kontakten befragt.

Auch wenn sich die Grundgesamtheiten der IAB-BAMF-SOEP-Befragung und unserer Studie unterscheiden, lassen sich vorsichtige Vergleiche ziehen:

  • Sprachkenntnisse: Auch in der IAB-BAMF-SOEP-Befragung wurden die Geflüchteten um eine Selbsteinschätzung der Sprackenntnisse gebeten. Die Autoren geben z.B. an, dass 47% der Befragten, die noch keine 2 Jahre in Deutschland lebten, nur geringe oder gar keine Deutschkenntnisse haben (ebd., S. 48). Bei unserer Erhebung äußerten 38% der Geflüchteten, dass sie sich mit Deutsch im Alltag verständigen können. Entsprechend liegt der Anteil der Geflüchteten, die sich nicht verständigen können, bei 62%.

  • Schuljahre: Die IAB-BAMF-SOEP-Studie hat ergeben, dass 9% der Geflüchteten keine Schule besucht haben. 58% der Geflüchteten haben 10 Jahre und mehr in der Schule verbracht (ebd. S. 55). 13% haben einen Studienabschluss erreicht (ebd., S. 58.). Bei unserer Studie liegt der Anteil der Geflüchteten, die keine Schule besucht haben, mit 3% deutlich niedriger. Der Anteil an Flüchtlingen, die mindestens 10 Jahre eine Schule besucht haben, ist mit 53% ähnlich hoch. Der Anteil an Geflüchteten, die einen Studienabschluss erreicht haben, liegt mit 13% exakt so hoch wie bei der IAB-BAMF-SOEP-Studie.

  • Berufserfahrung: Im Rahmen der IAB-BAMF-SOEP-Studie geben 73% der Geflüchteten an, bereits Berufserfahrung in ihrem Herkunftsland gesammelt zu haben. Bei unserer Erhebung sind es 82%. Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern zeigen sich in beiden Studien ähnlich gravierend: 81% der Männer, aber nur 50% der Frauen bringen laut der IAB-BAMF-SOEP-Studie Berufserfahrung mit (ebd., S. 64). Eine Differenzierung der Berufserfahrung auf unterschiedliche Berufssparten liegt bei der IAB-BAMF-SOEP-Studie bisher nicht vor.

  • Derzeitige Beschäftigungssituation: 14% der Befragten der IAB-BAMF-SOEP-Sudie waren zum Zeitpunkt der Befragung berufstätig. Berufstätigkeit umfasst dabei z.B. auch Praktika oder berufliche Ausbildung (ebd., S. 68). Bei unserer Erhebung waren rund 5% aller Befragten zum Zeitpunkt der Befragung in betrieblicher Ausbildung, Beruf oder Praktikum beschäftigt. Vor allem der Anteil an Flüchtlingen, die einer Arbeit nach Regeltarif nachgehen, ist bei der IAB-BAMF-SOEP-Studie mit rund 7% deutlich höher als bei uns (1%). Die großen Unterschiede sind vermutlich den Stichprobendifferenzen geschuldet.

  • Berufsaspiration: Hier zeigen sich wieder parallele Ergebnisse. In der IAB-BAMF-SOEP-Studie wurden die Aspirationen mit Hilfe einer Skala abgefragt. Demnach wollen 78% der nicht berufstätigen Befragten ganz sicher zukünftig arbeiten, weitere 15% wahrscheinlich (ebd., S. 71). Bei unserer Studie gaben 95% aller Befragten an, dass sie arbeiten möchten. Weitere 3% gaben "vielleicht" als Antwort.

  • Persönliche Netzwerke: Kontakte zu Deutschen sind in der IAB-BAMF-SOEP-Studie ebenfalls Thema. Leider sind die Fragestellungen nicht mit unseren zu vergleichen. Trotzdem zeigen sich interessante ergänzende Informationen, die auch für die Situation in Nürnberg relevant sein können. Demnach ist die Kontakthäufigkeit von Geflüchteten zu Deutschen in Großstädten signifikant geringer als in kleineren Kommunen. Geflüchtete, die in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind, haben eine signifikant geringere Anzahl an neuen Kontakten zu Deutschen im Vergleich zu Geflüchteten, die in dezentralen Wohnungen oder Häusern wohnen (ebd., S. 92).

Freiwilligensurvey 2014: Methodik

Die Abfrage der Bereitschaft für ehrenamtliches Engagement war ein Kernelement unserer Studie. Dafür orientierten wir uns teilweise an Fragestellungen des Freiwilligensurvey, um im Nachgang Vergleiche möglich zu machen.

Im Freiwilligensurvey 2014 wurden knapp 29.000 Personen ab 14 Jahren in computergestützten Telefoninterviews befragt (Schiel u.a., 2015, S. 10). Die repräsentative Befragung fand 2014 zum vierten Mal statt.

Freiwilligensurvey 2014: Ergebnisse

  • Personen, die nicht engagiert waren, wurden im Freiwilligensurvey gefragt "Wären Sie bereit, sich zukünftig zu engagieren und freiwillig oder ehrenamtlich Aufgaben zu übernehmen?" (Simonson u.a., 2016, S. 73). 12% antworteten mit "Ja, sicher" und 47% mit "ja, vielleicht" (Müller / Tesch-Römer, 2016, S. 169). Wir fragten: "Wären Sie zukünftig bereit zu helfen, auch ohne Geld zu erhalten und freiwillig oder ehrenamtlich Aufgaben zu übernehmen?" Die Geflüchteten, die nicht engagiert sind, antworteten zu 82% mit "ja sicher" und zu 13% mit "ja, vielleicht". Die Bereitschaft der Geflüchteten für Engagement liegt in unserer Studie somit deutlich höher. Dabei ist aber auch zu beachten, dass der Anteil der nicht engagierten Personen unter den Geflüchteten deutlich höher ist als in der Gesamtbevölkerung.
  • Im Freiwilligensurvey 2014 wurden alle Personen, die noch nie freiwillig engagiert waren, nach den Gründen gefragt. Wir fragten alle Geflüchteten, die sich nicht (kurzfristig) engagieren möchten, nach den Gründen. Die Abfrage der Gründe haben wir stark am Freiwillgensurvey orientiert (Simonson u.a., 2016, S. 72) und folgendermaßen formuliert: "Es gibt viele Gründe, warum man nicht helfen kann. Ich lese Ihnen nun einige Gründe vor. Sagen Sie mir bitte jeweils, ob dieser Grund auf Sie zutrifft oder nicht.". Im Freiwilligengsurvey nennen 76% zeitliche Gründe (vs. 76% bei unserer Studie), 51% berufliche Gründe (vs. 14%), 32% familiäre Gründe (vs. 39%) und 21% gesundheitliche Gründe (vs. 23%). 23% fühlen sich nicht geeignet (vs. 13%) und 17% wissen nicht, wohin sie sich dafür wenden können (vs. 44%) (Müller / Tesch-Römer, 2016, S. 165). Der Vergleich zeigt, dass für Flüchtlinge berufliche Gründe eine wesentlich geringere Rolle spielen. Dagegen wissen sie vergleichsweise seltener, wohin sie sich für die Aufnahme eines Ehrenamts wenden können.