Motive für das ehrenamtliche Engagement

Die Erforschung von Motiven für die Aufnahme und Aufrechterhaltung eines Ehrenamts spielt in der Engagementforschung eine wichtige Rolle. Viele der interviewten Frauen nennen ihre Religion als zentrales Motiv für ihr Engagement. Außerdem sind die Bearbeitung gesellschaftlicher Missstände, aber auch die Vermittlung eines positiven Islam-Bildes wichtige Motive für die aktiven Muslimas.

Neben typischen Motiven für ehrenamtliches Engagement, wie der Möglichkeit, die Gesellschaft mitzugestalten und dem generellen Wunsch, anderen Menschen zu helfen (vgl. Arriagada&Karnick 2021, 119ff.), wurden in den Interviews und Gruppendiskussionen weitere Motive genannt, die gerade für Muslimas eine besondere Rolle spielen. Sie lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen:

1. Motive rund um die Religion und das Leben als Muslima in Deutschland und

2. Motive rund um die Themen Qualifzierung und Vernetzung, die gerade für neu Zugewanderte eine große Rolle spielen können.

Islamischer Glaube - ein wichtiges Motiv für ehrenamtliches Engagement

Die Muslimas wurden in den Interviews gefragt, inwieweit ihre Religion mit ihrem Ehrenamt zusammenhängt. Ein Großteil der Muslimas beschreibt eine enge Verbindung, weil im Islam das Helfen anderer Menschen einen besonderen Stellenwert einnimmt. Für einige der Muslimas ist die Religion sogar das zentrale Motiv sich zu engagieren:

"Das sehe ich als Pflicht, was Gutes für die Gesellschaft zu tun, weil ich eine praktizierende Muslima bin." (E3)

"Wir wissen genau, dass das auch aus unserer Religion kommt, dass der beste Mensch einer der Nützlichsten ist, also der nicht nur in seinem Leben glücklich und zufrieden ist, sondern um sich herum guckt. Ob's da irgendwie Bedarf gibt, der gedeckt werden muss. (...) Das ist zum einen eine Herzensangelegenheit und gleichzeitig auch eine gewisse Pflicht, was zurück zu geben in die Gemeinschaft." (G1)

"Also ich als Moslem, ich biete Hilfe an, egal wo, egal wem. Spielt keine Rolle ob derjenige Moslem ist oder alt oder groß oder klein, jemand der Hilfe braucht, dem wird geholfen und Punkt aus." (G2)

„Ich glaube, die Motivation, sich zu engagieren, ist sehr religiös begründet. (…) Um Allah auch näher zu kommen (…) mit guten Taten (...) einen guten Betrag im Leben anbieten. (…) Und wenn das noch freiwillig und nicht bezahlt ist, hat das auch mehr Wert bei Allah.“ (E1)

Diese religiösen Werte werden in der Kindheit vermittelt. Mehrere Muslimas berichten, welche Bedeutung es in der familiären Sozialisation hatte und hat, anderen Menschen zu helfen:

"Religion motiviert mich persönlich selber vielleicht mehr, weil wir es als Kind so gelernt haben, dass wir anderen Menschen helfen." (G3)

"Und das haben wir unseren Kindern auch gelernt, auch im Bus, wenn eine ältere Dame oder ein älterer Herr, [dann sagen wir] `steh auf und biete ihn einen Sitzplatz an`. Das liegt an unserer Religion irgendwie auch." (G2)

Persönlich erlebte, gesellschaftliche Probleme bearbeiten

In unseren Recherchen zu ehrenamtlich aktiven Muslimas in der Metropolregion wurde überdies deutlich, dass sie vor allem in Kontexten tätig sind, die einen Bezug zu ihrer Lebenswelt und Biographie haben.

Es zeigt sich, dass bei einigen der Wunsch besteht, persönlich erlebte gesellschaftliche Missstände durch das Ehrenamt zu bekämpfen. Diese können sich zum Beispiel auf Diskriminierungserfahrungen beziehen:

"Ich glaube, das ist so eigentlich der Hauptgrund, weswegen wir hier aktiv sind, weil wir einfach ein gewisses Umdenken schaffen wollen. Also wir wollen natürlich zum einen aus unserer Religion Menschen helfen fürs Gemeinwohl was zurück geben. Auf der anderen Seite aber gibt die Arbeit uns die Möglichkeit ein gesellschaftliches Umdenken zu schaffen, Vorurteile abzubauen, mit denen wir täglich zu kämpfen haben im Alltag, und das ist ja die Grundmotivation irgendwie." (G1)

Muslimas machen die Erfahrung, dass die eigene Kultur und Religion von der Mehrheitsgesellschaft nicht immer anerkannt werden. Aufgrund dieser biographischen Erfahrung ist es manchen Muslimas wichtig, sich selbst (und damit auch die eigene Religion) als Teil der deutschen Gesellschaft zu präsentieren (vgl. auch Uslucan 2015, S. 29):

"Das ist glaub ich auch so bisschen dieser Wunsch, das ein bisschen zurechtzurücken und auch ein bisschen da mitzumischen und auch die Stimme da lauter werden zu lassen von einer ganz neuen Eigendefinition, ja von dem was man ist. Also klar ist die Kultur von meinen Eltern irgendwo ein Teil von mir und die deutsche Kultur genauso und ich bin aber hier ganz klar sozialisiert und fühl mich auch zugehörig, aber mir wird das ein bisschen abgesprochen und  meine religiöse Identität hat irgendwie gar keinen Platz (...) und ich glaube so geht es sehr sehr vielen, die jetzt in meiner Generation sind." (E2)

Darüber hinaus werden im Ehrenamt Probleme bearbeitet, die in der eigenen Zuwanderungsgeschichte erlebt wurden:

"Ich war hier auch erst einmal eine Ausländerin und ich konnte auch nicht Deutsch sprechen. (...) Wenn ich sehe dass jemand Hilfe braucht, erinnere ich mich immer, wie es für mich war und wie ich mich in dieser Situation gefühlt habe, das war schlimm und schlecht und schwer. Ich konnte keine Hilfe bekommen und ich möchte, dass das niemals wieder bei anderen Personen passiert, deswegen möchte ich den Personen helfen." (G3)

Von den Muslimas wurde dabei immer wieder die Unterstützung von Geflüchteten thematisiert. Der Religionsmonitor (eine internationale und interdisziplinäre empirische Untersuchung zum Verhältnis von Religiosität und gesellschaftlichem Zusammenhalt) stellt fest, dass sich Muslime "mehr als alle anderen Religionen, aber auch mehr als Nichtreligiöse für Geflüchtete engagieren" (Nagel & El-Menouar 2017, S. 8). Demnach war nahezu jeder zweite Moslem bzw. jede zweite Muslima im Jahr 2016 für die Flüchtlingshilfe aktiv. Die Autoren schreiben weiter "Muslime bringen neben einer religiösen Motivation besondere kulturelle Kompetenzen mit, die im Rahmen der Flüchtlingshilfe erstmals wertgeschätzt werden“ (Nagel & El-Menouar 2017, S. 26).

Ein positives Islambild zeigen

Damit zusammenhängend ist es einigen der Muslimas wichtig zu zeigen, dass muslimische Bürger/innen in vielfältiger Weise etwas zur Gesellschaft beitragen. Sie möchten auch darüber aufklären, dass der Islam eine Religion ist, in der gegenseitige Hilfe ein zentraler Wert ist:

"Ein positives Islambild zu zeigen. Das ist der Islam, das ist unsere Religion, Menschen zu helfen, die Hilfe brauchen." (G2)

"Der Gesellschaft zeigen, dass die Muslime auch eine Rolle in dieser Gesellschaft haben und die auch was tun können, besonders Frauen, die Kopftuch tragen. Die können auch hilfreich sein, die sind nicht anders als andere Frauen oder als andere Menschen. Jeder kann was machen. Das hat nichts mit Religion zu tun oder mit Hautfarbe." (G3)

Nähe zur Organisation und den dort tätigen Personen

Mehrere der aktiven Muslimas beschreiben ihre Organisation und die dort tätigen Haupt- und Ehrenamtlichen mit den Worten "Familie" oder "Gemeinschaft". Die Bindung an die Organisation scheint für manche Muslimas ein zentrales Motiv zu sein, das Engagement aufrecht zu erhalten. Außerdem sind gerade muslimische Gemeinden, zu denen häufig eine enge Bindung besteht, auch schlicht auf das Engagement ihrer Mitglieder angewiesen. Dieses wird dann gerne und selbstverständlich geleistet. Der Freiwilligensurvey (die umfassendste quantitative Befragung zum freiwilligen Engagement in Deutschland) zeigt auf, dass sich Migranten und Migrantinnen insgesamt häufiger als Menschen ohne Migrationshintergrund im religiösen Kontext engagieren (Vogel et al. 2016, S. 597f.).

Auf diese Aspekte wird unter Orte des Engagements nochmals näher eingegangen.

Persönliche Weiterentwicklung, Erfolge und Qualifikation

Viele Muslimas haben eine Zuwanderungsgeschichte und manche von ihnen haben erst im Jugend- oder Erwachsenenalter die deutsche Sprache erlernt. Das Ehrenamt kann für sie, wie für andere Zuwanderinnen auch, eine Möglichkeit darstellen, die Sprache zu üben und das Land kennen zu lernen:

"Ein weiteres Motiv ist die Sprache zu lernen (...) ich verbessere meine Sprache, ich verstehe, wie die Gesellschaft funktioniert." (E3)

Für das ehrenamtliche Engagement einen Nachweis oder ein Zertifikat zu erwerben oder es sogar als berufliches Sprungbrett zu nutzen (vgl. Müller et al. 2016, S. 421), werden ebenfalls in den Gesprächen als mögliche Motive thematisiert:

"Also ich kenne so einige die auf Freiwilligenbasis zum Beispiel bei der Stadt irgendwelche Programme mitgemacht haben oder unterstützt haben und dann wurde auch schon mal eine Stelle für Organisationstätigkeiten oder Verwaltungstätigkeiten (...) angeboten und da ist es durchaus möglich, so eine Brücke zu schlagen." (G2)

Ehrenamt wird entsprechend von manchen Muslimas als eine Chance verstanden, sich weiterzuentwickeln und persönliche Erfolge zu erzielen. In mehreren Gesprächen wurde der Aspekt betont, dass ein Ehrenamt diesbezüglich die Selbstwirksamkeit steigern kann:

"Ich muss wirklich sagen, die Arbeit hat mich wirklich auch geformt, also hat mir viele Erfahrungen mitgegeben, hat mich aber auch sehr weitergebracht, weil man Erfolge gesehen hat, weil man gesehen hat, man kann weiter kommen, man kann viel aufbrechen und man kann selber sehr auch dran wachsen." (G1)

"Ich habe gesehen, das ist eine sehr große Welt, man kann viel machen, das hat mich dann selbstständiger gemacht, selbstbewusster gemacht." (G3)

"Das Bedürfnis auch sich irgendwo eingliedern zu können, auch die Sprachkenntnisse festigen zu können, aber auch so bisschen dieses Selbstbewusstsein bilden zu können, dass man etwas tun kann, also dass man etwas selber aktiv und proaktiv etwas in die Hand nehmen kann." (E2)

Muslime sind in unserem gesellschaftlichen System, insbesondere Bildungssystem benachteiligt (z.B. Geier & Gaupp, 2015). Gerade deshalb sind diese selbstwert- und kompetenzsteigernden Erfahrungen durch die ehrenamtliche Tätigkeit von großer Bedeutung.

Persönliche Vernetzung

Wie in einigen Zitaten bereits anklingt, kann ebenso die persönliche Vernetzung im Sinne des Sozialkapitals durch ehrenamtliches Engagement ausgebaut werden (vgl. Putnam 2001). Im besten Fall werden Kontakte geknüpft, die ggf. bestimmte Ressourcen bieten, die auch im privaten oder beruflichen Kontext hilfreich sein können:

"Ich komme oft mit Leuten in Kontakt, die das hauptamtlich machen. Ich lerne von denen und ich vernetze mich und ich komme an Quellen, die sonst für andere nicht zur Verfügung stehen. Das ist wirklich eine sehr große Erfahrung." (E3)

In den Handlungsempfehlungen gehen wir darauf ein, wie man die beschriebenen Motive als Freiwilligenorganisation aufgreifen und berücksichtigen kann.