Den Zugang zum freiwilligen Engagement erleichtern

Freiwilliges Engagement in Organisationen der Mehrheitsgesellschaft ist aus verschiedenen Gründen nicht ohne Weiteres zugänglich für Minderheiten. Hier braucht es nicht nur eine organisationskulturelle, sondern auch eine strukturelle Öffnung.

Wenn man sich die Frage stellt, warum vielen Freiwilligenorganisationen nicht gelingt, sich divers aufzustellen, stellt man sich im Grunde die Frage nach dem Zugang zu ihnen sowie nach den Hindernissen für eine kulturelle Vielfalt (vgl. Schührer 2019). Noch einen Schritt zurück gedacht, stößt man schnell auf die Erkenntnis der Engagementforschung, dass freiwilliges Engagement per se nicht für alle sozialen Gruppen zugänglich ist. Mehrere unserer Gesprächspartnerinnen betonten in diesem Zusammenhang: Engagement ist abhängig von der Bildung eines Menschen, von seiner ökonomischen Lage, seiner Sozialisation, seinen sprachlichen Fähigkeiten (vgl. Han Broich 2012; Simonson et al. 2021, 62ff.). Damit sind gerade im Falle der Zugewanderten immer wieder Schranken gegeben, die nur mit großer Anstrengung und viel Motivation überwunden werden können.

Soziale Faktoren können den Zugang zum Engagement erschweren

Aber auch Muslimas, die in Deutschland geboren sind, betreffen diese Faktoren teilweise. Selbst im Falle hoch gebildeter muslimischer Frauen kann es gut sein, dass ihre Sozialisationserfahrungen, die nicht selten mit Diskriminierungserfahrungen verwoben sind, dazu führen, dass ein freiwilliges Engagement für sie nicht oder nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen infrage kommt. Und auch in diesem Fall können Muslimas exemplarisch für die Minderheiten in unserer Gesellschaft betrachtet werden.

Will sich eine Freiwilligenorganisation interreligiös/interkulturell öffnen, braucht es Formate, die diese hemmenden Aspekte abschwächen und den Zugang erleichtern. Sie sollten so konzipiert sein, dass sie diejenigen Zielgruppen ansprechen, die sonst ausgeschlossen sind, und ihren Bedürfnissen entsprechen. Aus unseren Gesprächen wissen wir: Die Bereitschaft zum freiwilligen Engagement ist zumindest unter Muslimas grundsätzlich gegeben. Ihnen muss nur auch ein Engagementfeld eröffnet werden, in dem sie sich willkommen und gebraucht fühlen und das ihrer eigenen Art von Engagement entgegenkommt.

Kurzfristige, niedrigschwellige und gesellige Engagementformate

Durch die Gespräche über das Ehrenamt in Moscheegemeinden haben wir erfahren, dass Muslimas, wie viele Menschen mittleren Alters, die sozial stark einbebunden sind, insbesondere für eine kurzfristige und niedrigschwellige Engagementweise offen sind.  In Bezug auf zugewanderte Muslimas lässt sich vermuten, dass damit ihr Verständnis des Helfens direkt angesprochen wird. Mehrmals wurde davon berichtet, dass beispielsweise bei Veranstaltungen sehr schnell genügend helfende Hände da sind, damit diese reibungslos klappen. Viele Muslimas stehen hierbei gerne parat und kümmern sich ganz selbstverständlich um die Bewirtung oder die Gestaltung des Raumes.

Hinsichtlich der Niedrigschwelligkeit sind besonders gemeinschaftsstiftende Engagementformen in den Gesprächen herausgehoben worden. Auch hier sind Veranstaltungen ein gutes Beispiel, denn die gemeinsame Gestaltung einer Feier geschieht in und für die Gemeinschaft und führt letztlich zu einem gemeinschaftsstiftenden Setting.

Was sich hieraus ableiten lässt, ist die Empfehlung, sich den ohnehin immer stärker verbreiteten Trend zunutze zu machen, kurzfristiges und niedrigschwelliges Engagement in der Freiwilligenarbeit mehr mitzudenken. Ebenso können Projekte, die flexible Einsatzzeiten ermöglichen, attraktiv sein. Wichtig ist aber auch, besonders die kurzfristigen und niedrigschwelligen Engagementformen sichtbarer zu machen und als relevant bzw. anerkennenswert in die Öffentlichkeit zu tragen. Damit kann aufgezeigt werden, dass diese Formen ein wesentlicher Teil des Engagements in einer Freiwilligenorganisation sind. Davon können sich auch generell alle Personen, für die ein langfristiges Engagement aufgrund ihrer persönlichen Lebenssituation nicht infrage kommt, angesprochen fühlen.

Den Zugang durch Empowerment und Kompetenzen fördern

Wer die sozialen Effekte abmildern möchte, die die Exklusion sozialer Gruppen von freiwilligem Engagement verursachen, sollte sich außerdem Gedanken über Strukturen und Elemente machen, die hier entgegenwirken und den Zugang zum freiwilligen Engagement erleichtern. Hinsichtlich der Faktoren Bildung und Sprachkompetenz sind z. B. Fortbildungen geeignet, die in eine Engagementaufgabe einführen, um den Zugang einfacher zu gestalten.

Auch mit Diskriminierung verbundene Sozialisationserfahrungen können Betroffene hemmen sich freiwillig zu engagieren. Hier ist es wichtig, positive Erlebnisse zu schaffen, die die Freude im freiwilligen Engagement vermitteln und die Möglichkeiten aufzeigen, die Gesellschaft aktiv mitzugestalten. Dies kann bereits innerhalb von Schulprojekten passieren, in denen Schüler/innen erste Engagementerfahrungen machen oder in denen sie Angehörige kultureller Minderheiten als freiwillig Engagierte erleben. Eine andere Variante, wie sowohl Jugendliche als auch Erwachsene einen Zugang zum freiwilligen Engagement finden können, sind Erfahrungen im Rahmen unterstützender Projekte, in denen sie zunächst selbst Hilfe erleben und die mit der Zeit dann Lust auf ein eigenes Engagement wecken und die Kompetenz dazu fördern.

Wertschätzung, Selbstwirksamkeit und Zugehörigkeit vermitteln

Hinsichtlich der ökonomischen Lage stellt sich die Frage, inwieweit zumindest Aufwandsentschädigungen und Fahrtkostenrückerstattungen gezahlt werden können oder vielleicht sogar Ehrenamts- bzw. Übungsleiterpauschalen im Sinne geringer Honorare eingeführt werden sollten. Dies darf aber nur geschehen, wenn damit nicht en passant billige Arbeitsplätze geschaffen werden, die indirekt helfen, öffentliche Gelder einzusparen. Und auch in diesem Zusammenhang ist für ausreichende Qualifizierung zu sorgen, durch die gewährleistet ist, dass Hilfestrukturen professionalisiert und fundiert genug bestehen. Zudem braucht es ein Bewusstsein der Freiwilligen, dass die Tätigkeit trotz der monetären Anerkennung nicht mit professioneller Arbeit gleichzusetzen ist, für die eine entsprechende berufliche Ausbildung nötig ist. Dennoch können derlei Engagementformate im Bereich sozialer Hilfestrukturen für Neuzugewanderte ein Sprungbrett in den Arbeitsmarkt sein und ein Erfahrungsfeld bieten, in dem eigene Kompetenzen als für die Gesellschaft wertvoll erlebt werden.

All das kann helfen, die Selbstwirksamkeit und damit auch das Empowerment von Muslimas bzw. Angehörigen kultureller Minderheiten zu stärken, um ihnen das Zugehen auf Freiwilligenorganisationen zu erleichtern. Denn diese Menschen fühlen sich unter Umständen nicht fähig zu einem freiwilligem Engagement, das von der Mehrheitsgesellschaft ausgeht, wenn sie sich dieser nur bedingt zugehörig fühlen. Hier gilt es, das Gegenteil aufzuzeigen und zu vermitteln, wie wertvoll sie und ihr Engagement für die Gesamtgesellschaft sind.

"Es spielen sehr viele Faktoren eine Rolle, (…) ob ich mich engagiere oder nicht engagiere oder wie ich mich engagieren kann"

Die Handlungsempfehlung resultiert aus dem Hinweis unserer Gespächsparterinnen, wie viel Bedeutung die eigenen sozialen Voraussetzungen, der Zugang und die Art eines Engagements ihrer Erfahrung nach haben:

"Wir haben eine große Mädchengruppe, breit gefächert, und das empfinden sie als angenehm und sie kommen sehr gerne und da sprechen wir (...) regelmäßig über 'was bedeutet ehrenamtlich arbeiten'. (...) Religiös gemeint: gut, ich mache was Gutes für die Tafel ich helfe der Gesellschaft. Aber nicht religiös bedeutet es: das ist für mich eine sehr große Erfahrung, weil das ist quasi wie eine Ausbildung. Ich komme oft mit Leuten, die das hauptamtlich machen, in Kontakt. Ich lerne von denen und ich vernetze mich. Ich komme an Quellen, die sonst für andere nicht zur Verfügung stehen. Das ist wirklich eine sehr große Erfahrung. Dann sagen viele Leute 'ja okay aber ich kriege ja am Ende keine Bescheinigung, ich kann das nicht als eine Berufserfahrung sehen'. Ich sage aber: du kannst es in deinem Curriculum Vitae schreiben und vielleicht ein bisschen besser beschreiben, was du da gemacht hast. Ja, so versuchen wir die Leute zu motivieren." (E4)

"Natürlich spielen auch viele andere Faktoren eine Rolle. (…) Das Bildungsniveau (…), die Sozialisation (…), die Sprache spielt eine Rolle. Also, es spielen sehr viele Faktoren eine Rolle, (…) ob ich mich engagiere oder nicht engagiere oder wie ich mich engagieren kann oder welche Haltung ich dahinter habe. (...) Aber ich würde sagen, (...) je mehr die muslimischen Frauen gebildeter sind und auch (…) die Sprache beherrschen, desto mehr haben sie auch Wissen und können auch bisschen ein anderes Engagement zeigen. (…) Ich merke einfach, die Frauen, die gebildeter sind, die die Sprache beherrschen, die sich auch in viele Institutionen bewegen usw., die sind auch bereit sich auch ehrenamtlich zu engagieren." (E1)

Die Diskussion hinter der Handlungsempfehlung

Für unser Projekt war in Bezug auf das Thema des Zugangs zu Freiwilligenarbeit und -oganisationen der Mehrheitsgesellschaft immer wieder schwierig nicht zu pauschalisieren.

Die Gründe für einen erschwerten Zugang zum Engagement sind sehr verschieden

Besonders die Faktoren der Bildung und der Sprache sind auf Muslimas und Angehörige anderer Minderheiten, die in Deutschland aufgewachsen und sozialisiert wurden, nicht zutreffend. Das ist der Grund, warum wir hier auch auf die Sozialisationserfahrungen hinweisen, die mindestens genauso schwer wiegen können und den Zugang zum freiwilligen Engagement verstellen. Sich bereits abgelehnt zu fühlen, bevor man an eine Organisation herantritt, sich nicht angesprochen zu fühlen von den gesetzten Themen einer Initiative oder sich nicht zuzutrauen, ein Engagement ausüben zu können, verhindert genauso den Engagementeinstieg wie fehlende Sprachkompetenzen oder fehlende Bildungserfahrungen. So scheint es wichtig zu sein, den Zugang zur eigenen Freiwilligenorganisation in all seinen Spielarten zu durchdenken, um ihn erfolgreich zu verbreitern.